LIGURI INFO Nr. 0

7.2.2013 admin Newsletter & Technix

Hier beginnt das Archiv unserer Newsletter, das verspäteten Interessierten die Möglichkeit gibt, nachträglich, aber stark zeitversetzt, nochmal an die bisherigen Texte zu gelangen. Eventuell noch übriggebliebene Termine, Preisangaben oder Angebote sind natürlich nicht mehr aktuell. Generell wurde in dieser Hinsicht zuvor ein grober Schnellschnitt der Texte durchgeführt. Und wer die quartalsweise erscheinenden Newsletters immer aktuell erhalten will, mailt uns entsprechend an!
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LIGURI INFO – Newsletter tra Monti e Mare
quartalsweise, Nummer 0, November 2010,
Posto TMM – Vignai – Baiardo – Liguria – Italia
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Wir gratulieren! Denn Du (ja: Du!) hast gerade den ersten Newsletter „Liguri Info“ des Posto tra Monti e Mare im Westzipfel Liguriens vor Augen. Es ist erst noch eine Nullnummer, denn wie bei unserem Projekt insgesamt ist auch hier aller Anfang nicht leicht. Nach 2 Jahren fremdverschuldeter Stockungen durch die Nachwirkungen eines Motorradabschusses kommt das Baby jedoch langsam, aber unaufhaltbar in die Gänge.
Was wir alles machen und anbieten und warum und wie das funktioniert oder zu verstehen ist, geht im Allgemeinen ja aus der Website selbst hervor. Der Newsletter dient aktuellen Meldungen, Ergänzungen, Interessantigkeiten oder Hintergründen exklusiv für die Eingeschriebenen (samt Sonder-Dings). Online verfügbar wird dieser Content -wenn überhaupt- sicher erst mit gehöriger Verspätung. Erstes Thema ist SLOW FOOD, worüber ebenfalls auf der Website schon einiges steht. Ähnlich wie Entschleunigung, Subsistenzwirtschaft, Agriturismo, sanftes Reisen, Selbstbestimmung oder auch Permakultur stellt Slow Food den ein oder anderen inspirativen Bezugspunkt zur Verfügung (und weckt ebenso den ein oder anderen Vorbehalt). Was aber ganz sicher hervorhebenswert ist (und z.B. beim Tunnelblick vornehmlich auf exquisite Gourmetkultur leicht übersehen wird), sind die revolutionäre, die interkulturelle und die radikale Portion Pfiff im Salat, der sonst doch nur langweilig wäre.
Der Präsident von Slow Food International, Carlo Petrini, zum letzten Terra-Madre-Tag (vom 10.12.09), mit dem regelmäßig für Biodiversität und Erhalt der globalen Lebensmittelvielfalt agitiert wird: „Die globale Revolution geht von der lokalen Dimension aus, von der die [Terra Madre-]Bündnisse die besten und kreativsten Interpreten sind. Für diese ist in der Tat jede alltägliche Handlung schon ein revolutionärer Akt gegenüber dem Treiben der globalen Agrarindustrie.“[1] Und gegenüber modisch-nationaler Identitätshuberei verficht Petrini
IDENTITÄT ALS TRIUMPH DER VIELFALT (am Beispiel der Pasta mit Tomatensauce):
„‚Zum Schutz unserer Wurzeln‘ ist ein Motto, das in aller Munde ist… So genannte Wurzeln werden auch bzgl. der gastronomischen Identitäten als eine Art Metapher heraufbeschworen, als würden sie zu einem festen Ziel, zu einem einheitlichen, unberührten, ursprünglichen Kern führen.“ Dabei sollte die Metapher eine andere sein:“Die Wurzeln der Bäume teilen sich unter der Erde auf, breiten sich aus und entfernen sich erheblich von der Pflanze. Sie haben auch unvorhersehbare Verläufe und führen zu vielen verschiedenen, voneinander auch sehr entfernten Stellen. Halten wir an dieser Metapher fest, ist das, was wir sind, Ergebnis von Begegnung, Austauschvorgängen, Auseinandersetzungen und Kämpfen, die sehr weit in die Vergangenheit zurückreichen. Nie war Identität das Ergebnis eines im Laufe der Zeit unveränderten Standpunktes.
Identität ist also der Triumph der Vielfalt. Denken wir z.B. an unsere Esskultur: Diese ist stark von fremden Elementen beeinflusst, die wir uns im Laufe der Zeit angeeignet haben. Ein Beispiel ist die Pasta mit Tomatensauce, ein klassisches Gericht, das in der ganzen Welt die ital. Küche symbolisiert. Sie besteht aus Zutaten, die keinen ital. Ursprung haben. Um die Erfindung der Nudeln streiten sich Araber und Chinesen; wir haben sie uns durch die Begegnung mit diesen beiden Zivilisationen angeeignet. Auch die Tomate stammt nicht aus Italien, sondern wurde aus Amerika importiert.
…Ähnliches wie über die Tomatensauce kann man über ein Gericht sagen, das typisch für meine Region ist, den Piemont: die Bagna Caoda. Dieses Rezept wird mit Anchovis, [Oliven-]Öl und Knoblauch zubereitet, Zutaten, die in dieser Region gar nicht heimisch sind. Ohne Austausch und Begegnung von Verschiedenheit schafft man nichts.“[2]
Zum Terra-Madre-Tag am 10.12. Petrini ganz aktuell: „Im Jahr 2009 hat Slow Food den ersten Terra Madre Day organisiert: Über 1000 Veranstaltungen in 120 Ländern bildeten eins der größten Kollektivevents, die je weltweit realisiert wurden, um die Lebensmittelvielfalt zu feiern und das Recht auf gute, saubere und faire Lebensmittel zu proklamieren. Die Slow Food Convivien/Condotte und die Gemeinschaften von Terra Madre wurden zur Stimme von Bauern und Kleinerzeugern, von verantwortlichen Köchen und bewussten Verbrauchern und bewiesen in ihrer jeweiligen Umgebung, dass unsere globale Kampagne für bessere Lebensmittel ihren Ausgang in nachhaltigen lokalen Wirtschaften nimmt, die das Leben von jedem von uns angenehmer gestalten können.
In diesem Jahr können wir durch die Unterstützung des Projekts ‚Tausend Gärten in Afrika‘ nicht nur beweisen, wie vielfältig unser Netzwerk ist, sondern auch, wie eng seine Mitglieder untereinander in Kontakt stehen und wie entschlossen sie handeln. Beim Terra Madre Day entstehen Austausch oder Partnerschaften zwischen Bündnissen und Gruppen von Slow Food, die an dem Projekt beteiligt sind, und es finden Veranstaltungen statt, um Fonds für die Unterstützung eines dieser Gärten zu sammeln. Außerdem bietet der Terra Madre Day 2010 die Möglichkeit, unseren Gemeinschaften, den verantwortlichen Lokalpolitikern und Medien ein neues Dokument zu präsentieren, das beim Welttreffen Terra Madre verfasst wird und nachhaltige Politikmaßnahmen umreißen soll, um den Wandel zu fördern, für den wir uns alle so intensiv einsetzen. Wir bitten Sie auch dieses Jahr, am 10. Dezember die Bedeutung des lokalen Essens zu unterstreichen. Nutzen Sie Ihre Kreativität, um unsere Botschaft zu verbreiten und bessere Lebensmittelsysteme zu fördern: Wir lösen eine globale Revolution mit lokalen Wurzeln aus!“[3]
Leicht und locker gelangen wir nun von Slow Food, Pasta mit Tomatensauce und der Bagna Caoda zum Stockfischfest in Badalucco, denn dass der Stockfisch kein original ligurisches Gericht ist, ahnt ja nun jede/r.
WIE ALSO KAM DER STOCKFISCH NACH BADALUCCO? Und zur Ehre eines eigenen Fests,
das alljährlich an einem Septemberwochenende mit Musik und Tanz, Essen, Trinken und einer Menge internationalem Flair begangen wird? Überall präsent: die norwegische Flagge. „Handel, Krieg, Piraterie“, hieß es schon in Goethes Faust Zwo, „dreieinig sind sie, nicht zu trennen“ – und erst recht galt das im mittelalterlich-neuzeitlichen Mittelmeerraum. Zu den aggressivsten Vertretern des bald weltumspannenden Prinzips vom bewaffneten Handel gehörte die Genueser Republik, die der Venezianischen streckenweise die Vorherrschaft im Seehandel streitig machte. Mitte des 13.Jahrhunderts eroberte sie auch Badalucco und somit einen ausbaufähigen Handelsknoten von zentraler Bedeutung für das nördliche und westliche Hinterland. So zog u.a. auch der Stockfisch vom weit südöstlich gelegenen Porto Maurizio über viele bucklige Maultierpfade in die Metropole des mittleren Argentina-Tals und konnte die konkurrenten Wirtschaftskreise von Taggia im Süden und Triora im Norden ziemlich aufstören. Insofern steht der durch die nordeuropäische Technik des Aufhängtrocknens am Holzgestell halt- und handelbar gemachte Fisch für den wirtschaftlichen Aufschwung dieses auch heute noch unbedingt sehenswerten Stätdchens, das mit seinen schmucken historischen Bauten (oft kongenial ergänzt durch Außenmalereien moderner Künstler/innen) eine echte und v.a. auch lebendige Augenweide darstellt.
Der Stoccafisso erhielt nochmals im 16.Jahrhundert legendäre Bedeutung, als die stockfisch-basierte Vorrratshaltung es Badalucco ermöglichte, einer Belagerung der gefürchteten Sarazenen zu widerstehen, die dann ohne Beute abziehen mussten. Das Originalrezept heißt „Stoccafisso alla Baucogna“ und ist so gesehen eine norwegisch-genuesisch-badaluccisch-sarazenische Koproduktion, womit wir wieder bei Carlo Petrinis Kulturbegriff von Austausch und Begegnung wären. Natürlich gehört auch das Anbaugebiet der slowfood-präsidierten Weißen Bohne im unteren Oxentina-Tal zu Badalucco: das ist very local (im Sinne von ungroß) und wird stilecht in Handarbeit sowie ohne Pestizide und Kunstdünger beackert. Und „stoccafisso“! Wem das kein Beleg ist für die musikalischste Sprache der Welt, den hol‘ doch der „lanzichenecco“…
In Handarbeit beackert werden jetzt im 4.Quartal auch die
KASTANIENWÄLDER UND OLIVENHAINE, die auf teils uralten Terrassen hochgezogen
wurden. Die zugehörige Handwerkskunst des Trockenmauerns hat überhaupt erst die Bewirtschaftung der extremen Steillagen möglich gemacht und ist nicht weniger als ein menscheitsgeschichtliches Glanzlicht. Freilich sind die Kastanien, da sie nicht mehr (wie vor 8-900 hier auf Vignai) DAS Hauptnahrungsmittel darstellen, oft verwildert oder haben sich auch in den ansässigen Waldbeständen ihre Plätze erobert. Das pure Sammeln der Esskastanien ist noch nicht so der große Akt, daher kriegt man 1 Kilo im Supermarkt auch schon mal für 4 Euro (freilich sind die dann auch chemisch behandelt). Der hohe Preis, den sie z.B. als Delikatesse auf deutschen Weihnachtsmärkten haben, resultiert aus der furchtbar aufwendigen Schälarbeit. Daher ist ein leckerer Maronenkuchen nicht nur wegen des köstlichen Geschmacks (und der extremen Nahrhaftigkeit) ein hochkarätiger Genuss, sondern eben auch wegen des damit verbundenen Zubereitungsaufwands – und natürlich jeden einzelnen Taler wert.
Ebenso gilt das für die hiesige Olivenernte, denn die Taggiasca wird nicht nur in mühevoller Handarbeit geerntet, sondern gibt (bei viel Kern und wenig Fleisch) Tröpfchen für Tröpfchen das beste Olivenöl der Welt. Und kommt so auf einen Literpreis von 16 Euro. Reich wird damit dennoch keiner der hier noch verbliebenen Ölbauern, im Gegenteil: Die Plackerei tun sich meist nur noch sog. Idealisten, Verliebte, Sturköppe und Gewohnheitstiere an, die damit ähnlich den Imkern in D-land eigentlich eine ökologische Mission zum Nutzen der ganzen Menschheit erfüllen. Bei uns hier oben auf Vignai, in 800 m Höhe, ist die Olivenhain-Zone schon vorbei. Wir haben zwar auch paar einzelne Bäumchen stehen, aber für die Ölpresse lohnt sich das nicht. Wir sind hier froh, wenn wir unseren Jahresbedarf an Nasch-Oliven rausholen.
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