Die Erfindung des Korkschmeckers oder

20.2.2018 silliguri Newsletter & Technix

„Warum wir stur zur Korkeiche halten“… und unseren Hauswein, einen soliden Dolcetto (alte regionale Sorte aus dem piemontesischen Montferrat, in ligurischer Variante zu Ormeasco geworden) weiterhin mit diesem Stopfen verkorken: Weil wir auf das Gerede eines Haufens selbstgestrickter Korkschmecker, die bloß einer industriellen Rhetorik auf den Leim gegangen sind, so viel nicht geben. Nach dem Motto „unter lauter Blinden ist selbst der Einäugige ein Sehender“ wurde der Korkschmecker erfunden für Aufschneider, bei denen es zum Weinkenner nicht reicht, die aber doch gerne als solche posieren. 9 von 10 Korkschmeckern[1] sind so Leute, die den ersten Schluck gleich nach dem Öffnen abgulpen, vorher noch fest am Korken gerochen, hinterher zur Sicherheit mit Lesebrille die Porenzahl gecheckt, um dann oberwichtig zu verkünden, der Wein hätte Korkgeschmack und Plastik wäre heutzutage eben doch besser. Das ist falsch. Plastik-, aber auch Metall- und sogar Glaskorken sind lediglich billiger, weswegen sie von Großindustrie und -handel ja auch gehypet wurden wie der Naturkorken entsprechend gedisst, zunehmend assistiert von kleineren Herstellern und Billigjakobs auf Verbraucherseite, denen Wein in Tetra-Tüten dann ebenso recht sein dürfte. Tatsächlich beeinflusst Kork keinen Wein negativ, auch nicht geschmacklich. Und wer sich die Zeit nimmt, das eingeschenkte Gläschen erstmal kurz atmen zu lassen, wird dann allerhand zu schmecken kriegen, aber seltenst Kork.
Es gibt Fehltöne, die nur mit Naturkorken passieren können und solche, die unabhängig vom Korkstoff sind. Zu Ersteren zählt v.a. die Kontamination mit 2,4,6 TCA (Trichloranisol), die an den Poren ansetzt – je mehr davon, desto riskanter, so dass die vorgesehene Lagerzeit bei der Wahl der Korkenqualität unbedingt berücksichtigt werden muss. Allerdings wurde TCA auch schon in schraubverschlossenem Wein, in Mineralwasser, Bier, Limo, abgepackten Lebensmitteln und sogar Hühnereiern gefunden: da läuft die Kontamination eben über Fässer, Filter, Pumpen, Abfüllanlagen, Stopfmaschinen, chlorhaltige Reiniger, Kellerluft, Schimmel in Transportgebinden oder am privaten Lagerort. Die dem TCA übelschmeckähnlichen Tribromanisole (TBA) wiederum haben sich in zahlreichen Weinkellern weltweit verbreitet und gehen auf chlorhaltige Holzschutzmittel zurück, die den Wein penetrieren können. Wer also naturnah sauber arbeitet und die Haltbarkeit der Korken der Lagerzeit des Weins anpasst, braucht sich um verkorkste Flaschen kaum Sorgen machen, sondern kann die vielen schönen Vorzüge beider Naturprodukte in vollen Zügen genießen.
Die gesamte Konkurrenz aus Plastik, Metall, Glas, Verbund lässt der Naturkorken nämlich schonmal mit seiner Ökobilanz weit hinter sich – und zwar in sämtlichen Disziplinen außer Wasserverbrauch[2]. Dazu ist Kork 100% nachwachsend und 100% recyclebar, Flaschenkorken werden z.B. gesammelt und als Industriekork weiterverwendet. Der Stoff hat ein optimales Verhältnis von niedriger Gas-Permeabilität zu hoher Elastizität, verschließt den Wein also ohne ihn zu ersticken – wohin hingegen die Plastik-Hysterie der Ultra-Sterilen mit ihrem Luftdichtfimmel führt, war schon in den 70ern zu sehen: Schöner wohnen mit Schimmel, Muff und „Korkgeschmack“. Der relativ höhere Preis für Naturkorken (13-100 Cent i.Vgl. etwa zu 4-12 Cent bei Plastik) spiegelt u.a. den höheren Arbeitskraftbedarf (Arbeitskräfte, manche erinnern sich, sind Leute, die durch ihrer Hände gute Arbeit den Unterhalt für sich und Angehörige sichern). Korkeichenwälder sind -auch als angelegte- keine Mono-Plantagen, werden weder gespritzt noch gedüngt, sondern bieten sogar überlebenswichtige Rückzugs- und Überwinterungsräume für ansonsten gefährdete Tierarten wie Kaiseradler, Pardelluchs und europäischen Kranich oder sind überhaupt Biotop für 13000 Pflanzenarten, noch dazu erheblich CO2-bindende Wasserspeicher und Versteppungsblocker. Deshalb und auch wegen ihrer nachhaltigen (notwendig entschleunigten) Bewirtschaftung, bei der ein Baum z.B. nur alle 11 Jahre geschält und bis zu 200 Jahre alt wird, sind Korkeichenwälder von der EU unter besonderen Schutz gestellt, damit die verringerte Wertschätzung ihrer wichtigsten Geschenke -eben die Weinkorken- nicht zu ihrem profitlogisch völligen Verschwinden führt.
Glaubt also den Korkschmeckern nicht! 90% davon sind bloß einer industriellen Schmeichelrhetorik erlegen, die aus dem dürftigen Erfolg ihrer Tetrapak-Akzeptanz für Wein hervorragend gelernt hat. Der Naturkorken soll schlechtgeredet werden, um mit kostensparenden Verschlüssen die Gewinnmarge zu erweitern. Den billigen Verbrauchsjakobs wird dazu weisgemacht, sie wären keine bloßen Schnäppchenjäger, sondern keimfreiheitsbewusste und qualitätsverfeinerte Korkschmecker, wenn sie mitziehen. Der Niedergang des totgesagten Naturkorkens hält sich indes in Grenzen. Hinter hämischen Durchbruchsmeldungen wie z.B. jener, dass bei den Frankenweinen Glas oder Metall mittlerweile 81% der jährlich ca. 55 Mio Weinflaschen verschließen[3], erscheint beim zweiten Hinsehen die -bei allem gebürtigen Lokalpatriotismus- doch unvermeidliche Einsicht, dass es daa ja nun auch egal sei, womit genau die Deutschen das verkorken, was in Frankreich grade so als Essig durchgeht [war Spahaaß]. Die Grüne Matrix hält zu den Korkeichen, die es auch nicht weiter stört, wenn sich ein paar Schmecker dran schubbern.
[1][2][3] – Auszug ohne Fußnoten aus unserem LIGURI INFO Newsletter Nr.28/Aug.2017


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