Wie der Tunnelblick auf Korruption und Desorganisation die Wahrnehmung italienischer Ereignisse verkorkst
Mä ko jo kä gude Daacheszeidung mehr uffschlaache, ohne dass von einem Korruptionsfall darin berichtet wird. Täglich. Und in D-land, versteht sich. Versteht sich das? Es sind milliardenschwere CDs mit Steuersünden auf dem Markt (die der saubere Staat mal lieber nicht anfasst), gerade stehen wieder 8 kriminelle Bänker unter Anklage (die mit windigen CO2-Geschäften 220 Mio hinterzogen haben sollen), von Köln bis Berlin, Hamburg bis Garmisch-Partenkirchen gibt es keine Kommune, in der in jüngerer Vergangenheit nicht geschmiert worden wäre oder dubiose PPP-Deals[1] liefen – und doch sind vornehmlich stets irgendwelche Anderen die Korrupten. Da dreht der fette Finger schnell nach Süden und zeigt – auf Italien zum Beispiel.
So wird auch die Berichterstattung (und damit das Meinungsbild) einer der besseren Tageszeitungen D-lands, die immerhin einen Heribert Prantl an prominenter Stelle beschäftigt, zu italienischen Themen oft auf’s Ungünstigste überformt von dieser fast neurotischen Korruptionsfixiertheit, wodurch der Blick auf wesentliche interessante Aspekte strukturell verbaut ist. Auch die „Expo 2015“ wurde von Anfang an im nur vermeintlich objektiven Raster von Korruption und irgendwie schon süßer Organisationsunfähigkeit dargestellt, trifft damit aber nur am billigeren Rande irgendwo die Scheibe, nicht im Schwarzen. In „Very Bello“ hat z.B. Oliver Meiler[2] den knapp ein Jahr vor Expo-Eröffnung aufgeflogenen Bauskandal (es wurden 7 Verdächtige aus Politik, Verwaltung, Finanzierung und Expo selbst festgenommen) ja nicht erfunden, die italienische Tagespresse war zuvor schon voll davon. Aber daraus bloß die groß- und bildungsbürgerliche Sicht der Dinge gekürzt ins Deutsche zu übersetzen, bestätigt im Endeffekt nur die bekannten Klischees auf einer gediegeneren Ebene. Gekürzt im Übrigen auch um Erinnerungen an die Hannoveraner Expo 2000 und DEREN Korruptionsaffären von hin- und hergeschobenen Steuergeldern über das milliardenhohe Schlussdefizit bis hin zur grandios geplatzten Aida-Vorführung und seinen unbezahlt hinterbliebenen Arbeitskräften. Mit „Verybello Eataly“ findet sich hier im Blog das Angebot einer dissidenten Lesart der Mailänder Expo.
Ähnliches ist zu Wahrnehmung und Darstellung etwa der römischen Stadtpolitik zu vermerken. Nicht schlecht, ließe sich exemplarisch zu Oliver Meilers Artikel „Magische Hände“[3] sagen, aber stellenweise dann doch nicht richtig gründlich dahintergestiegen. Fixiert auf das Phänomen der „Mafia Capitale“ in Italiens Hauptstadt und den reinigenden Umgang des neuen Bürgermeisters Ignazio Marino damit (politischer Seiteneinsteiger und „Moralisator Roms“, 2006 als international bekannter Transplantationschirurg überhaupt erst wieder nach Italien zurückgekehrt und stantepede in den Senat gewählt), geraten gravierende Fragen und Zusammenhänge aus dem Fokus und in Vernebelung. Besonders die angebliche Unterstützung Marinos durch Renzi wird nicht gut getroffen. Der hat sich nämlich bis vor Kurzem damit noch auffälligst zurückgehalten, weil er Marino zu seinen innerparteilichen Gegnern zählt, verortet sich jener doch deutlich am linken PD-Flügel. Auch die im Artikel als Beleg zitierte Talkshow-Äußerung[4] ist politisch genau gelesen nicht einmal eine halbe Unterstützung, sondern eine so getarnte Ermahnung der mühsam gepressten Art. Wahrscheinlich ist Renzi inzwischen klar geworden, dass die PD-Bürgermeisterschaft in Rom auf der Kippe steht und es zu Marino keine gangbare Alternative für ihren Erhalt gibt. Bei vorgezogenen Neuwahlen würden wohl die 5 Sterne des anderen Genuesers triumphieren und womöglich den göttlichen Grillo selbst zum Stadtoberhaupt machen. Da täte dann sogar der obercoole Renzi zammklappen (Klaas Klever fraß nach solchen Schlappen immer seinen Hut).
Vollends verfehlt wird der Hintergrund massiven Ansturms von rechts auf das Bürgermeisteramt, denn dass „Postfaschist“ Alemanno nun draußen ist, heißt in dieser Hinsicht noch gar nix, leider. Die Faschisten vom Casa Pound und die neuerdings auf Süderweiterung orientierten Rassisten von der Lega Nord machen mächtig Rabatz wegen einiger Hundert Flüchtlinge, die in Rom noch untergebracht werden soll(t)en, es gab große und militante Demos am Ort der Unterkunft, Tränengaseinsatz, Festnahmen – und die unbeugsame Haltung des zuständigen Präfekten Gabrielli, dem die Lega dafür mit der traditionell faschistischen Rizinusölfolter drohte. Marino hat hier als Vor-Ort-Umsetzer ebenso anständig Rückgrat bewiesen und an seine Kommune appelliert, sich zu erinnern, dass „früher wir es waren, die auf Arbeitssuche ins Ausland gingen, heute sind es andere Völker, die zu uns kommen – nicht um den Italienern den Platz und die Arbeit wegzunehmen, sondern weil sie ein glückliches Leben in Freiheit suchen“[5]. Wenn da irgendwo, wie es sich bei Meiler darstellt, „rundherum alles auseinanderfällt, schnell und krachend“, dann wäre ein Blick hinter solche Kulissen wie Korruptionsbewältigung, Papstjubiläumsjahr, mehr Putztrupps und weitere Fahrradwege Pflicht gewesen, um zu begreifen, worum es tatsächlich geht. Wo ist in D-land von einem Großstadtoberhaupt ein so schlichter Appell an menschliche Moral und Antirassismus zu vernehmen? Und wer im Land der Reinen mit der steuererklehrlichen Möglichkeit dazu schmiert den Fiskus nicht nach besten Kräften im Rahmen des gestalterisch Machbaren an?
Kein Thema für Deutsche. Stattdessen popularisieren Peg- und andere Idiot/innen kriegerisch kulturellen Rassismus gegen Muslime und andere Neger, ein Staatsoberhaupt vom Format eines 14/18er Gottlieb-Emil-Meier besingt die neue deutsche Kriegsbereitschaft in weltweiter Verantwortungsübernahme, die Fußball-Weltmeisterschaft wird von einem „Führungsspieler“ mit Pokal in der Hand dem einsitzenden Millionen-Steuerhinterzieher Uli Hoeneß zugeeignet („ohne ihn wären wir jetzt nicht da, wo wir heute sind“) und ergänzend von einer anderen Riege Champions mit einem bestenfalls saudummen rassistischen Affentanz zelebriert. Und überhaupt gibt es in D-land kaum ein Profifußballstadion, das nicht direkt oder indirekt von Steuergeldern finanziert wäre, damit profitorientierte Privatunternehmen dort für lau ihre lukrativen Geschäfte verrichten können.[6] Ausgerechnet die Vorstände eines politischen Betriebs, deren spezifische und überaus raffinierte Institutionalisierung der Korruption aus dem etablierten Parteiensystem letztlich eine milliardenschwere politische Dienstleistungsbranche gemacht hat, in der Lobbyismus, Parteienfinanzierung, Sponsoring und ein unfassbarer Korpsgeist innerhalb der politischen Klasse die Eckpfeiler bilden[7] – fühlen sich dann noch berufen, Anderen z.B. eben Korruption vorzuwerfen, um ohne rot zu werden die systematische ausnehmende Selbstbereicherungsstrategie weiterführen zu können, die das alte herrenrassistische „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ irgendwie netter und vernünftiger klingen lässt. „Shopping tedesco ad Atene“[8] nennen hiesige Zeitungen den ärmlichen Ausverkaufszustand, den der wohlmeinend gesetzte DM-Kolonialismus in Griechenland herbeigeführt hat. Next stop is Italy.
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[1] PPP steht für „Public Private Partnership“, also die Veräußerung öffentlicher Versorgungsaufträge an Privatunternehmen, natürlich inklusive der zugehörigen Infrastruktur (z.B. der Wasserwerke, Kläranlagen, Kanalisation, Leitungen)
[2] Meiler, „Very bello“, in: „Süddeutsche Zeitung“, 13.4.2015
[3] Meiler, „Magische Hände“, in: „Süddeutsche Zeitung“, 31.7.2015
[4] „Marino ist eine anständige Person. Er soll nun zeigen, dass er auch regieren kann“, zit. n. [3]
[5] „se prima eravamo noi ad andare e cercare lavoro all’estero oggi ci sono altri popoli che vengono da noi non per togliere spazio e lavoro agli italiani ma per cercare una vita felice e libera“, zit. u. übers. aus: Tageszeitung „Unita“, 20.7.2015
[6] Wer absteigt, hat freilich verloren. Detailliert zeigt das: Jens Berger, Der Kick des Geldes, Frankfurt/M. 2015, die genannten Stadiengeschenke werden von der 1. bis zur 4.Liga durchleuchtet im Kap. „Elf Subventionsempfänger sollt ihr sein! Wie das Milliardengeschäft Fußball vom Steuerzahler subventioniert wird“.
[7] Siehe: Mathew D.Rose, Korrupt?, München 2011 – Der in Berlin lebende graduierte Historiker und investigative Journalist erklärt bestens recherchiert, analytisch fundiert und spannend lesbar, „wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“.
[8] So am 19.8.2015 die Schlagzeile der Tageszeitung „Manifesto“ zum Aufkauf von 14 griechischen Flughäfen durch die hessische FRAPORT.
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