7-Tage-Trek zur Situationistischen Internationale

21.8.2017 Giorgio LIGURIEN bereisen

Neues aus der Reihe NATURPRODUKT WANDERTOUR: Nach Cosio d’Arroscia führt die Langversion des neuen „L’arte e l’amore“-Treks, dessen Normalversion schon 6 Wandertage dauert – was erwartet eine/n dann erst bei der langen? Nun ja, so viel anstrengender ist die nicht, es geht halt einen Zacken stracker zum weit im Norden gelegenen Zielort, wohingegen die Normalroute einen langen Bogen von Küste zu Küste schlägt. Um also von Bordighera nach Cosio d’Arroscia zu gelangen, braucht’s eigentlich bloß einen Tag mehr – und immerhin wurde ebendort vor 60 Jahren die linke Kunst- und Revolutionsvereinigung „Situationistische Internationale“ gegründet, die eine Verwirklichung der Kunst nur im proletarischen Umsturz der herrschenden Verhältnisse insgesamt für möglich hielt (wer weiter lediglich Kunst&Kultur machen wollte, wurde 5 Jahre später rausgeschmissen, in erster Linie Deutsche, u.a. übrigens Dieter Kunzelmann allerdings wg. Nationalsituationismus). Weil ihre Mitglieder schneller, tiefer, unmittelbarer, also besser begriffen und umsetzten, was in der 50er/60er-Jugend im westlichen Kapitalismus rumorte, avancierten sie rasch zu Impulsgebern ihrer Radikalität und Revolte v.a. im Pariser Mai ’68 – sehr zum Missfallen orthodoxer, dissidenter oder reformerischer Linker, deren staatssozialistische Ansätze allesamt negiert wurden.

Gegen die starren, lähmenden, verkehrten und entfremdenden Alltagssituationen gutbürgerlich-fordistischer Tristesse setzte etwa Guy Debord bereits zu seinen 50er-Jahre-Zeiten als Lettrist die Wandbeschmierung „Ne travaillez jamais“: Geht niemals arbeiten! Umgekehrt erkannte Charles de Gaulle in einer TV-Rede zu Revolte und Generalstreik am 7.Juni ’68 sofort: „Dieser Ausbruch ist hervorgerufen worden von einigen Gruppen, die sich gegen die moderne Gesellschaft auflehnen, gegen die Konsumgesellschaft, gegen die mechanische Gesellschaft, sei sie nun kommunistisch im Osten oder kapitalistisch im Westen. Gruppen, die sich an der Negation, der Zerstörung, der Gewalt, der Anarchie ergötzen, die die schwarze Fahne schwingen.“ Der Künstler-Revolutionär war freilich weitaus differenzierter, davon kann sich jede/r anhand seines kritisch-theoretisch konzentriert zugespitzten Aufstandsmanuals „Gesellschaft des Spektakels“ von 1967 leicht überzeugen, das bis heute ein untötbares Kultbuch geblieben ist, aktuell globalisierungskritischen Protest ebenso inspirierend wie das ‚Unsichtbare Komitée‘ mit seiner Schrift vom „Kommenden Aufstand“.

Ebenfalls 1967 ein Handbuch mit Rieseneinfluss wurde jenes von Raoul Vanegeim zur „Lebenskunst für die jungen Generationen“, das wie wenig andere den Lebensnerv einer zornig protestgeneigten Generation traf, „die nach etwas suchte, das ihrer wilden Subjektivität zum Ausdruck verhalf“, wie das Klaus Bittermann so schön sagte. Heute gelesen, mag Vaneigems Handbuch überspannt, pathetisch, seltsam obsolet und gelegentlich gar nervig oder lachhaft anmuten, aber auch das wäre eine Parallele zu unhistorischen 1:1-Aktualisierungsversuchen wie sie 1972 Volker Plenzdorf mit Goethes „Leiden des jungen Werther“ veranstaltete. Anders als die anhaltende subversive Nachhaltigkeit von Debords Handbuch wirkte jenes Vaneigems mit seiner „Leidenschaft der Subjektivität“ nur im und für den direkten Rausch vor, zur und bei der Revolte. Das ist nicht wenig und allemal besser, als die Aufbegehrenden in wertherische Selbstmordwellen oder aufgeblasene Kulturkriege zu schicken. Ein besonderer Coup gelang der S.I. schon 1966 mit dem Straßburger Skandal, als sie mit Uni-Geldern in 10000er-Auflage ihren Aufwiegler „über das Elend im Studentenmilieu“ unter die Leute brachte.

Getreu der situationistischen Maxime, durch zielführende „Konstruktion von Situationen“ als selbstverständlich betonierte Praxisformen und Sichtweisen (zu denen heute nicht zuletzt ihre schnappatmige Rezeption als „antikommunistisch“ gehört) irritierend aufzusprengen und so die tieferen Strukturen eines Herrschaftssystems ans Licht und zu Bewusstsein zu bringen bis zur Abschaffung von Ware, Geld, Kapital, Staat und all seinen „Klobürsten“, hat sich die S.I. 1972 selbst aufgelöst, um ihrer eigenen „Rekuperation“ (ein Zentralbegriff für die herrschaftliche Vereinnahmung oder Simulation von Rebellion z.B. als Ware) zuvorzukommen und so weiterwirken zu können. Weitere Zentralbegriffe sind übrigens die „Atomisierung“ (Zertrennung) der menschlichen Beziehungen unter den Bedingungen des Spektakels, „Dérive“ als Erkunden einer Stadt durch zielloses Umherschweifen und die Technik des „Détournement“, das expropriativ zweckumdrehende Verfremden etwa von Filmsequenzen, Fotos, Comics, Gebäuden durch Text-, Schnitt- oder Gebrauchsmodifikation).

Die Langversion des „L’arte e l’amore“-Treks von Bordighera nach Cosio d’Arroscia lässt sich so gesehen jedenfalls auch als anregende Zeitreise mit dem nonkonformen Impressionisten Claude Monet von 1884 bis zur Gründungsstätte der S.I. 1957 begehen, begeleitet von so meditativen Fragen wie der, ob und wie genau jene in die lange Reihe der sich verweigernden Bürgerschrecks vom Diogenes in der Tonne bis zum frühen Punk passen, warum sie sich ausgerechnet in diesem westligurischen Bergdorf trafen und ob sie da wohl Spuren und Erinnerungen hinterlassen haben mögen. Neben der Normal- und der Langversion des „L’arte e l’amore“-Treks sind natürlich auch alle früheren Touren unseres Programms weiterhin available, auch was die kürzeren 2-3-Tage-Treks oder die Halb- und Ganztagestouren betrifft, einschließlich solcher Sonderformate wie die „FöF“-Abholtouren oder die „Women only“-Trekkings. Ein Überblick findet sich verlinkt auf „liguri.info“ ready for download als Tourenheft.DOC oder per Newsletterbestellung an liguria@wwwebworks.net postwendend in der Mailbox.


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