Digital Detox: OIKOS-Workshop, BUEN VIVIR im Sinn

22.12.2021 silliguri OIKOS-Workshops

Wer sich gewundert hat, dass die im März 2020 hier so kess vorgestellten „2 neuen Workshops, die auf der Homepage noch gar nicht beschrieben“ waren, ebenda noch immer nicht aufgetaucht sind, sei hiermit aufgeklärt: Da hat uns Corona einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht, denn die finalen Ausarbeitungen und Beta-Versionen eben der Workshops „Hautnah erlebte Entschleunigung“ sowie „Degrowth & Digital Detox“ mussten -neben vielem anderen- der triftigen Lösung neuartiger Problemstellungen nachgeordnet werden. Dafür sind sie nun 2022 im Frühjahr schon am Start – zusammen mit der ganzen Bande unserer OIKOS-Workshops zum Auftrainieren autonomer Selbstmachkräfte durch praktische Vermittlung von Einsichten und Fertigkeiten in diverse altermondial brauchbare Gewerke vom Bierbrauen (Achtung: nur 1x pro Jahr zu Frühlingsanfang!), Trockenmauern und Seifenherstellen über silvane Sammelgänge, Destillieren oder Esskastanienverwertung bis hin zu angewandtem Darmtraining oder Hardcore-Waldbaden. Zwischenzeitlich haben die beiden sich allerdings in Teilen ein wenig umgruppiert und neuformiert. So hat Diogenes den Degrowth-Part in seine „Hautnah erlebte Entschleunigung“ mit ‚rübergezogen und „Digital Detox“ hat seinen Paten jetzt in Sokrates gefunden. Um letzteren geht es im Folgenden ausführlicher und wer stattdessen mehr zu Diogenes in unserem Oikos wissen wollte, klickt einstweilen hier drauf [crustcore.htm].
Als Sokrates einmal über einen Marktplatz voller teurer Waren des gehobenen Bedarfes wandelte, bemerkte er staunend, „wie zahlreich doch die Dinge sind, derer ich nicht bedarf.“ Er wäre heute ein Verfechter des BUEN VIVIR [1], für das gute Leben (dessen Manifest in der Vorstellung De Sousa Santos‘ die hier kolportierte Anekdote entnommen wurde), welches ein einfaches und freies ist, ein ressourcengerechtes und vernetztes, ein solidarisches und gleichheitliches, ein arbeitsames und selbstbestimmtes, ein produktives und entschleunigtes, ein naturverbundenes und – digital entgiftetes. „Digital Detox“ bildet nachgerade eine der Zentralvoraussetzungen v.a. für die privilegierten Herrenrassen im globalen Nord/Westen und deren als Einzelne dort in weiten Teilen unterklassige Menschen, sofern die sich aus ihrer selbstverschuldet mitgemachten leitkulturellen Imperialverblödung doch noch mal befreien mögen.
Es liegt ja auch auf der Hand und ist wissenschaftlich längst erwiesen wie die Schädlichkeit von Tabakrauch: Gewohnheitsmäßiger Gebrauch mobiler Endgeräte (oder auch des Internets generell) führt zu krankhaften Abhängigkeiten, Schlafstörungen, Nervosität, Fahrigkeit, Konzentrationsverlust, Charakterbrüchen, Kompetenzabbau, Sozialdefiziten und Hirnverödung. „Always on“ bedeutet überdies sklavische Dauerverfügbarkeit und permanente Stressmaximierung (auch wenn das alles im Prinzip vor dem stationären PC genauso stattfindet, hat erst die mobile Nutzung diese selbstoptimierende Einschleimung in marktkonformen Überwachungsfaschismus und Like-it-servile Ausbeutbarkeit zum „neuen Normal“ standardisiert). Pro Tag entsperren Durchschnitts-Users 80x ihr „Handy“, verschwenden 2,5 Std. damit (davon in SM-Apps 1,5 männliche bis 2 weibliche), können keine 9 Sekunden mehr bei einer Sache bleiben und im Schlafzimmer lassen sie sich vom Smone unterm Kissen oder aufm Nachttisch auch noch die lebenswichtigste Repro-Phase vergällen und Verspannungen, Rückenleiden, Osteoporose, Magen-Darm-Scheiße, Herz-Kreislauf-, Diabetes- und Krebsrisiken aufdrücken. Über die medizinisch mess- und feststellbaren physischen und psychischen Krankheitsfolgen hinaus, belasten aber auch dumpfe Sinn- und Befindlichkeitskrisen in der Art einer hartnäckig festsitzenden digitativen Depression (wo z.B. Glücksmomente nicht mehr erlebt und genossen, sondern nurmehr abgeknipst und weggeschickt werden), das digital vergiftete Ich. Speziell zu Social Media haut der Internet- und VR-Guru Jaron Lanier da 10 gute Gründe raus, warum Du Deine Accounts sofort löschen musst, wovon jeder einzelne für sich schon reicht – aber ganz besonders dieser: Weil es Dich zum Arschloch macht.[2]
Und das ist noch nicht alles! Digital-Zombies bedrohen (z.B. mittels der durch ihren Suchtbedarf boomenden 5G-Ausbaue) die Gesundheit ihrer Mitmenschen nicht weniger als Raucher, Impfgegner oder Autofahrer(innen jeweils ebenso), sie verursachen Unfälle mit Fremdschäden und gesellschaftliche Kosten durch Eigenblödheiten etwa beim Selfie-Schießen – und sie tragen massiv zum Klimakollaps bei. Das Internet verbraucht längst schon über 10% des Weltstroms und hat sich damit auf Platz 3 der Länderwertung zwischen EU und USA vorgeschoben (gegen Ende des Jahrzehnts darf mit 30% gerechnet werden), beim CO2-Ausstoß liegt es mit 0,8 Mrd. Tonnen auf Rang 6 (wie D’land selbst). Mit 3,7% der globalen Treibhausgasemissionen hat es auch den Flugverkehr längst überholt. Weit über 30 Milliarden „Dinge“ sind heute bereits übers Internet kommunizierend vernetzt, der explodierende Datenverkehr schreit nach 5G-Ausbau, nach bis zu 16 Fußballfeldern großen Rechnerfarmen, nach umweltzerstörendem Rohstoffabbau unter menschenverachtendsten Bedingungen. Der Ökologische Rucksack[3] jedes noch so stromsparenden A+++-Smones wiegt von der Herstellung bis zur Entsorgung 75 Kilo natürlicher Ressourcen auf (was sogar über dem durchschnittsdeutschen Pro-Kopf-Naturverbrauch eines Jahres liegt). Tagtäglich lösen bloß alle Google-Suchanfragen zusammen einen Big-Data-Abgleichsverkehr mit 700kg CO2-Ausstoß aus, die Künstlichen Intelligenzen und Algorithmen der zugehörigen individuellen Reklameanpassung bei SM-Plattformen wie Facebook, Twitter, Youtube oder Insta nicht minder. Sog. Autonomes Fahren, interaktives Fernsehen in HD+++, Online-Games und Navis, Secondlife und Augmented Reality, Überwachungsgeräte, Body-Scanner und RFID-Systeme zur automatischen Kontrolle und Bearbeitung aller nur denkbaren Lager-, Liefer- und Logistikzustände, Wearables vom Fitnesstracker bis zum Medikamentierungshelfer, von der Robotik mit ihren Cybersensor-, Endoskelett- und Drohnenentwicklungen ganz zu schweigen – 1000 digital vernetzte und sich selbst multiplizierende Ressourcenfresser. Die Kryptowährung „Bitcoin“ allein hat durch ihre sicherheitsnotwendige Blockchain-Technologie (die pro Transaktion 500kW/h Strom frisst und über 300kg CO2 produziert, was mehreren 100000 Kreditkartentransaktionen entspricht) das Erderwärmungspotenzial für über die 2-Grad-Marke hinaus.
Es gibt also genug gute Gründe, endlich mit einem Digital Detox jedweden Maßstabs ernst zu machen. Und es sind keineswegs bloß altgestandene Koryphäen des Internets, sondern auch jüngere Millennials, denen als „digital natives“ die radikale Distanzierung vom autozombifizierenden Wegklicken ihres eigenen Lebens um Vieles schwerer fallen dürfte. Anna Miller, Jahrgang 1987, freie Journalistin und Autorin aus der Schweiz, sagt das klar: „Das digitale Leben macht uns krank und wir wissen das. Wir müssen es beenden!… Aus unserem Leben mit einem bisschen Onlinesein ist ein Onlineleben geworden.“[4] Das braucht es nicht zu bleiben – und in der idyllischen Abgeschiedenheit unseres altermondialen Bildungspostos Tra monti e mare sind die Entgiftungsbedingungen sowieso ideal. Mit neu sich auftuenden Horizonten am Puls der Natur, altermondialen Sinnschärfungen und radikaler Praxis im rustikalen Ambiente statt sprituellem Philosophiegedöns oder verkrampfter Diätplanhuberei stärkt unser „Digital Detox“-Workshop die gewonnenen Freiheiten auch mit dem nötigen Gegenbewusstsein für eine längere Haltbarkeit der Neinsagekompetenz. Wie alle unsere OIKOS-Workshops ist sein Tarif ein eher idealistischer i.S. der „Förderung agrarökologischen Denkens, Handelns und Wirtschaftens weltweit“ und insofern AGRÖK-Vereinsbeitrag: Ein Tag für 70 € ddT (dividiert durch Teilnehmende). Ausführlicheres zu den Workshops auf der Unterseite OIKOS unserer Homepage, Anmeldungen per eMail an liguria[a]wwwebworks.net
_______________________________________________________________Anmerkungen:
[1] BUEN VIVIR ist die kolonialsprachliche Übersetzung einer der herrschenden -weißen- ‚Vernunft‘ komplett entgegengesetzten indigenen Weise nichtzerstörerischen In-der-Welt-Seins, allzusammen gut leben eben, im extrem optimistischen Versuch, der „Unmöglichkeit, das Unsagbare zu kommunizieren“ (v.a. in Richtung Norden, S.17) trotzend, „einen affektiv-intellekuellen Horizont zu schaffen, vor dem sich, durch ihren Beitrag zum Erfolg der Kämpfe der Verfechter*innen des guten Lebens/buen vivir, Theorien der Nachhut herausbilden können“(29), die den hier zitierten Boaventura De Sousa Santos nicht mehr als „darauf vorbereite[n], ein Intellektueller der Nachhut und damit ein fähiger Rebell zu werden. Was ich den Verfechter*innen anbieten kann, ist nichts außer einem gewissenhaften Spiegel, der ihnen zeigt, was ich fortlaufend von ihnen lerne“(35). Es geht hier um den Versuch, „wenn auch ein hoffnungsloser und hoffnungslos ehrlicher, den Radikalismus wiederzufinden“(37) – aus Süd-Unten, nachdem Nord-Oben ihn v.a. epistemologisch nachhaltig verunmöglicht hat. Ein Verlernen gerade der herrschenden Epistemik ist unabdingbar Voraussetzung, hier auch nur einen Anhauch zu begreifen. Wer schon an Spivaks „Learning to learn from the Subaltern“ scheiterte, wird ebensowenig mit De Sousa Santos‘ „Epistomologien des Südens, gegen die Hegemonie des westlichen Denkens“ (Münster 2018) vorankommen. Mit Leuten, die ihre Notdurft nicht sauber ohne Klopapier (auch wenn’s recycled wäre) regelmäßig outdoor zu verrichten in der Lage sind, kann BUEN VIVIR allerdings sinnvoll eh‘ nicht besprochen werden. DAS würde ein Workshop von ganz anderem Kaliber und wird an dieser Stelle daher auch gar nicht weiter vertieft. Ein anregendes Praxisbeispiel hat Arundhati Roy berichtet, hier der Klick zum Staunen. Und komme nu‘ keine/r von diesen machtverdumpften altweißen Männern mit so Gschmarri wie „Internetkompetenz“, „Romantisierung“ oder „Ideen aus den Goldenen 20ern“! Abgesehen davon, dass für die meisten die 20er real mehr „roaring“ als golden waren und was Eine/n da anbrüllte keine Tanzmusik, sondern Inflation und Arbeitslosigkeit, Hunger und Kriegsgeschädigte, Nazimärsche und Freikorpsterror, niederkartätschte Proteste und Aufrüstung für gleich den nächsten Krieg gewesen sind – damals und weit darüber hinaus waren auch 85% der Landflächen der Welt samt ihrer Menschen, Natur, Ressourcen und Rohstoffe fraglos ausbeutbarer Kolonialbesitz. Nach über 500 Jahren ist es Zeit, ganz unromantisch das Konto auszugleichen. Mit Digital Detox zum Buen Vivir.
[2] JARON LANIER: Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst, Hamburg 2018 – sie lauten: „Du verlierst Deinen freien Willen; Social Media ist BUMMER [Behaviors of Users Modified, and Made into an Empire for Rent, eine Maschinerie mit den 6 Komponenten ‚Die Arschloch-Herrschaft, Totale Überwachung, Aufgezwungende Inhalte, Verhaltensmodifikation, Ein perverses Geschäftsmodell, Fake People‘, S.44f]; SM macht Dich zum Arschloch; SM untergräbt die Wahrheit; SM macht das, was du sagst, bedeutungslos; SM tötet dein Mitgefühl; SM macht Dich unglücklich; SM fördert prekäre Arbeitsverhältnisse; SM macht Politik unmöglich; SM hasst deine Seele“(S.5). Und „Du, ja du, hast die konstruktive Verantwortung, dir zu überlegen und zu zeigen, wie man ohne diesen Mist leben kann“, S.10;
[3] BEMESSUNGSVERFAHREN zur Ermittlung eines vergleichbaren anteilmäßigen planetarischen Zerstörungsbeitrags einzelner Gegenstände (das können Smartphones, Flugreisen, Länder, deren einzelne Bewohner/innen oder Gruppen davon, bestimmte Wirtschaftszweige, konkrete Firmen, eine Fußballweltmeisterschaft, die Militäreinsätze u.v.a. in beliebigen zeitlichen, räumlichen oder sonstigen Eingrenzungen sein) gibt es mittlerweile mehrere nennenswerte, von denen der klima-orientierte reine CO2-Ausstoß in kg noch der einfachste ist. Der komplexere Ökologische Rucksack berücksichtigt, indem er vom Naturverbrauch in kg ausgeht, ein viel breiteres Spektrum ökozidaler Beiträge. Der Ökologische Fußabdruck fokussiert die Erdfläche, die zur menschlichen Verbrauchsbelieferung jährlich vernutzt wird, d.h. abzgl. der noch aufnehmbaren Abfälle (etwa CO2-Emissionen durch Bäume) und regenierbaren Ressourcen. Mit der Maßeinheit „Globalhektar“ lassen sich die Erdverbrauchswerte regionenweise ebensogut vergleichen wie auf die individuelle Ebene runterbrechen. Der hieraus ermittelte „Earth Overshoot Day“ bezeichnet den Tag im Jahr, an dem die jeweiligen Jahresressourcen aufgebraucht sind (für die Welt Anfang August, für D’land schon Anfang Mai) und lässt sich plastisch in Erden umrechnen: Die Deutschen konsumieren, als ob sie 3 davon zur Verfügung hätten, die USA fressen für 5, China für 2,2, Italien für 2,7 und wir auf dem Posto TMM für 0,9. Ein weiterer Ansatz rechnet die in der Nahrungsmittel- und Konsumgüterproduktion verbrauchte Ressoucenmenge in Virtuelles Wasser um. Demnach versäuft jede/r Deutsche täglich 4000l VW, jeder USAmi 6000l VW, ein Hamburger kostet 2400l VW, eine Tasse Kaffe 140l VW.
[4] ANNA MILLERs Artikel „Ein Leben nach dem Internet. Jetzt.“ ist ein angenehm nachdenklicher und auch ziemlich persönlicher, stellenweise poetischer und doch unversöhnlicher Abgesang der Art „Wir sind fahriger, wütender, aufgewühlter. Wir sind rastloser, wir halten ständig unseren Atem an und haben weniger Sex, alles fühlt sich irgendwie weniger bunt an und in jeder freien Minute, die uns noch bleibt, in diesem gehetzten Leben, starren wir in Geräte, wir sprechen seltener mit Fremden und wenn wir mal daheim bleiben, fühlen wir uns komisch, einsam, irgendwie ängstlich. Wir finden uns weniger zurecht, in unseren Leben, vergleichen uns ständig, wir können nicht mehr wirklich abschalten und haben Angst, uns zu binden, wir können keine Lieder mehr zu Ende hören, googeln den Weg, auch wenn wir ihn doch seit der Kindheit kennen, und verlaufen tun wir uns sowieso nicht mehr. Ist das die Welt, in der wir leben wollen? Ich habe mein Leben an dich verschwendet, Internet.“ https://www.zeit.de/kultur/2019-08/digital-detox-soziale-netzwerke-internet-smartphone-sucht-konsumverhalten/komplettansicht

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