Digital-Ausgabe ist nicht besser als Print!

27.2.2023 Giorgio GÄSTEBUCH-Einträge

„1,4 Mrd Tonnen CO2-Äquivalente, rund 2,5 % der globalen jährlichen Treibhausgasemissionen [THG], entstehen durch die weltweite Informations- und Kommunikationstechnik, allein 600 Mio Tonnen davon durch Handys“, berichtet Andi Dick im Mitgliedermagazin des Alpenvereins 4/22, so seinen Artikel „Digital, alles egal?“ mit einer Berechnung von Mike Berners-Lee einleitend.[1] Wie dieser doch niedrig erscheinende THG-Emissionsanteil mit dem 3.Platz auf der Rangliste der stromverbrauchenden Länder zusammengeht, den ‚das Internet‘ als Land gerechnet bekanntlich erreicht, ist wohl nur auf den ersten Blick erstaunlich – denn Stromherstellung verursacht ebenso THG-Ausstöße wie die Fabrikation sämtlicher benötigter Geräte. „Im Detail betrachtet“ findet der als einer der inspirierendsten und instruktivsten hochgeschätzte DAV-Autor es dann leider „gut, dass inzwischen rund 150000 Mitglieder DAV Panorama nur noch digital beziehen.“ Im Detail steckt halt auch der Teufel und lässt die Narren Äpfel mit Birnen vergleichen, ohne den Wald vor lauter Bäumen zu erkennen. Um zweierlei geht es im Folgenden allerdings keineswegs: Weder soll hier mit bemühtem Zahlenspektakel oder kleinkariert enthobenem Dateneinmaleins die dringende Berechtigung einer radikalen Klimawende zerredet bzw. vergessen werden (auch wenn natürlich Berechnungen unvermeidlich anzustellen waren); noch sollen Dicks kluge und einsichtsreiche Beiträge gegen „die gedankenlose Hybris und ‚unzureichende Nutzerkompetenz‘ auch von Alpenvereinsmitgliedern“ am Berg speziell wie beim THG-Emittieren allgemein herabgemindert werden.[2]
______Aaaber: Es is ja nicht wahr, dass Print- per se CO2-belastender wären als Digital-Ausgaben z.B. anspruchsvollerer Tageszeitungen oder auch des DAV-Panorama-Mitgliedermagazins, sofern es nicht bloß um die erhaltene Zustellung geht, sondern darum, den gebotenen Premiumstoff auch zu LESEN im Sinne von „verstehen und begreifen“ statt nur mal quick am Schirm drüberzuhuschen. Je länger und tiefer ein Text geht, umso nötiger wird die Printausgabe zu dessen inhaltlicher Erfassung durch seine Lesenden. Wenn Autor/innen mit substanziellem Anspruch den in digitalisierter Form flachen und tumben Screenread-Konsum ihrer Texte propagieren, läuft das auf den fachjournalistischen Offenbarungseid hinaus, dass sie nicht mehr gelesen und verstanden werden wollen, sondern das pure Erscheinen die Hauptsache ist. Anhand der o.g. DAV-Nummer und auf Basis der vom geschätzten Genannten im besagten Artikel „Digital, alles egal?“ ausgebreiteten Daten hat die Grüne Matrix auch die Prämisse selbst nachrecherchiert und nachgerechnet: Die verpönte Printausgabe kommt also auf 300g THG-Emission (selbstredend wiederverwertet und übrigens ebenso wie ein klassischer Brief). Der Versand einer langen Mail mit Anhängen (Bilder v.a.) belastet das Budget auch schon mit 10-100g, die selektierende Vorbereitung eines Ausdrucks der interessantesten Artikel kostet 2 Stunden Laptop- oder Desktop-PC-Nutzung (2-20 bzw. 20-200g), dann pro Druckseite 5-6g (je nach Tintenstrahl- oder Laserdruck) – macht bei lediglich 10 ausgewählten Druckseiten (ob das bei um die 100 Gesamtseiten eine zufriedenstellende Quote ist, muss die Redaktion beurteilen) und konsequent gemittelten Rechenwerten zusammen 121g mit Laptop und 220g beim Desktop, der ab der 23.Seite damit bereits die 300g der klassischen Printausgabe toppt. Die anteilige Emissionslast bei der Herstellung der einzelnen benötigten Geräte ist hier (i.Ggs zum Presseerzeugnis) noch gar nicht eingerechnet. Da muss auf anders aspektierte Lieblingsziffern der Druckindustrie -z.B. dass Druckerzeugnisse weniger als 1% eines deutschen CO2-Fußabdrucks ausmachen oder für bloß einen Cheeseburger vom Fastfood-Dealer 400-800 Seiten Papier bedruckbar wären- gar nicht eigens hingewiesen werden, um vielleicht auf die Idee zu kommen, dass der auch in D-land für den hochwertigen und wissenschaftskompatiblen -also printabhängigen- Erkenntnisgewinn zum Wohle der kognitiven Volxgesundheit nicht nur vertret-, sondern unabdingbar sei. Ganz zu schweigen vom riesigen Einsparpotenzial des -ob nun gedruckt, digitalisiert oder ausgestrahlt- produzierten nullwertigen Reklamemülls im allerweitesten Sinne…
______Langer Rechnung kurzer Sinn: Ohnehin kommt’s auf die Sicht u.v.a. tatsächliche Aktivität der Einzelnen an, die zur überlebensnötigen ‚Klimarettung‘ sofort nachhaltig und konkret auch beitragen WOLLEN (der unwillige Rest lässt sich -sei’s selbst zu ihrem Besseren- sowieso nicht belehren und die politische Kaste WILL sichtlich ebensowenig Ernst machen, sogar grün beampelt nicht). Alle wissen es: dass ohne den Austausch des ganzen Betriebssystems rein gar nichts geht, wie der letzte und bislang hohlste aller schon zuvor ergebnisleeren Klimagipfel im November wieder demonstrierte (der so unverblümt vom rosstäuscherischen Hohlsprech der PR-Agenturen, Lobbyismus, Sponsorentum der Fossilkonzerne und von der gefälligen Greenwash-Rhetorik ihrer Politiker beherrscht wurde, dass l’Extra Terrestre ihn als „La COP più vuota del mondo“ betitelte[3]) und dass löbliche individuelle Einsparrekorde keine Lösung der strukturellen Problematik bringen. Aber bis zum großen Kladderadatsch zeigen Reduktionsanstrengungen auf persönlicher oder projektmäßiger Ebene (wie unser bescheidenes 0,9-Planeten-Verbrauchs-Beispiel in Ligurien), Wald- u. Tagebaubesetzungen wie von Ende Gelände oder Aktionen à la Letzte Generation doch immerhin Beweise auf und statuieren Exempel, dass und wie eine andere Welt in echt -statt digital oder virtuell- doch noch möglich wäre. Auch kleine Sachen wie Rückseiten zu bedrucken, weniger Bullshit zu konsumieren oder die aufforstende Ecosia als Suchmaschine zu verwenden, helfen ohne große Mühe schonmal bei der Schadensbegrenzung und trainieren die planetarisch benötigten Degrowth-Fähigkeiten.
[1] Andi Dick, ebd., S.40; Seine Zahlenquelle: Mike Berners-Lee, „Wie schlimm sind Bananen? Der CO2-Abdruck von allem“, Zürich 2021;
[2] Auch in unserem Newsletter schon früh gewürdigt: das Zitat entstammt der Nr.20 vom Aug.2015, in der auf Dicks „erfrischend deutliches ‚Plädoyer fürs Informieren und Mitdenken'“ beim Bergwandern und überhaupt verwiesen wurde – gegen den konsumistischen „Wandern light“-Begriff mit Premiumwegebuhei und Vollversorgungsgedöns Marke ‚Deutsches Wanderinstitut‘, das folgerichtigerweise „die Durchschnittsdauer eines heute ‚Wanderung‘ genannten Wandelns im Grünen mit 2 Stunden“ angibt. Der Artikel findet sich hier nachlesbar.
[3] Am 24.11.23, S.4 (
L’Extra Terrestre ist die Donnerstagsbeilage der Tageszeitung Il Manifesto) – Die kuratierende Kommunikationsagentur auf dem COP27 in Ägypten war übrigens Hill & Knowlton, die schon vor 30 Jahren die kriegsbegründende Babybrutkastensoldateskalüge gegen den Irak in Szene gesetzt hatte, seither vorwiegend im Greenwashing fossilindustrieller Auftraggeber tätig.


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