JAURÈS, der erste Weltkriegstote: „À bas la guerre!“

31.12.2024 silliguri LITERATUR-Tips aus der Natur

„Denn so dankbar man für diesen November-Sommer hier unten sein muß“, hat Tucholsky vor 100 Jahren schon aus unserer italienisch-französischen Grenzregion berichtet, wo die Seealpen in so spektakulärer Schönheit ins Mittelmeer stürzen, „Die Tage haben um Schlag fünf ein Ende, schon nach vier Uhr blitzen überall Lichter in das Halbdunkel des Nachmittags, und dann ist es aus: man sieht nichts mehr.“ Mit solchen freihändig treffenden Worten leitete der berühmte Spessartwanderer aus Berlin während seiner Pariser Zeit die Reisereportage IN DER GEBURTSSTADT FRAGONARDS zum uns recht nahen Grasse ein. Und die Grüne Matrix leitet damit aus das alte Jahr und schreitet ins Neue. Wie Newsletterlesende oder AGRÖK-Mitglieder gar sehr wohl wissen, sind wir hier auf der Campagna Tucholsky-Fans und finden am gräßlichen Buhei um 100 Jahre Goldene Zwanziger v.a. das golden, dass wir dadurch ein Jahrzehnt durchgängig Gelegenheit haben, immer mal ein 100jähriges Bonmot aus dessen Gesammelten Werken zu zaubern.
________Vor 100 Jahren ist z.B. Jean JAURÈS IM PANTHÉON gelandet und so hieß auch der der eben angestimmten Ode an Grasse gleich folgende Artikel zu Ehren des „ersten Toten des Weltkriegs“, den unerschütterlichen Friedenskämpfer und Vorbildsozialisten, dessen Gebeine 10 Jahre nach seiner Ermordung am 23.11.1924 endlich feierlich in die Ruhmeshalle der Frz. Republik überführt wurden. Als der graduierte Philosoph und promovierte Historiker* am Morgen seines Todes, nur 3 Tage vor Kriegsbeginn, ins Parlament gestürmt kam, um die alle alarmierende dt. Verkündigung des Kriegsgefahrzustands korrekt übersetzend mit dem Ausruf „Das ist noch nicht der Krieg!“ zu deeskalieren, fragte ihn Außenstaatssekretär Ferry, was er nun tun wolle. „Unsere Kampagne gegen den Krieg fortsetzen!“ Ferry, geschockt und besorgt: „Das werden sie nicht. Man würde Sie an der nächsten Straßenecke totschlagen!“ 2 Stunden später war Jaurès tot, erschossen allerdings, in einem Café in Montmartre, von so einer Art nationalistisch kriegsverhetztem Blödzeitungsleser, wie sie auch und in ganz besonderem Maße das benachbarte Land der Dichter und Denker am laufenden Band produziert. Tags zuvor war er gerade zurück von einem Treffen der Sozialistischen Internationale in Brüssel, wo er mit Rosa Luxemburg für den Frieden agitierte und die Arbeitenden beider Länder zum Generalstreik aufrief, denn ohne uns kein Krieg. Das machte er schon seit Juni 1914, als mit dem Attentat von Sarajevo die österreichisch-deutschen Kriegsvorbereitungen heißliefen. Und das brachte ihm im rechten Lager Frankreichs noch mehr und erbittertere Feinde ein.
________Tucholskys Bericht von diesem Event ist einer für die Ewigkeit, so wie es diese denkwürdige Manifestation selbst ebenfalls gewesen ist: Die Überführung war „eine Ehrung, eine Erinnerung, eine Mahnung und ein Bekenntnis, geteilt sogar von Herriot (damaliger Premier einer Linksregierung für 10 Monate), dem die Kommunisten freilich die Berechtigung dazu bestritten – aber sie sind „doch klug genug eine Manifestation nicht zu stören, die gegen den gemeinsamen Feind geht“. Es wurde so auch eine Machtdemonstration vereinter Werktätiger, voller „Vive Jaurès!“ und „A bas la guerre!“ Der Berichterstatter geht mit als Delegierter der Dt.Liga für Menschenrechte, „sechzig Schritt hinter der Spitze“. Zahllose Verbände aus In- und Ausland haben Abordnungen entsandt, so auch die Freimaurer Frankreichs, „die vielleicht nicht ahnen, daß es in Deutschland ‚Brüder‘ in Landeslogen gibt, die den freimaurerischen Gedanken durch Völkerhaß und dumpfe Verblendung schänden“. Der Vorbeimarsch an der Büste Jaurès‘ vor dem Panthéon dauert 2,5 Stunden: 20000 Sozialist/innen, 15000 Kommunist/innen und die Zehntausende, die sich einfach so anschließen. „Alle, alle gehen mit. Sie haben ihn geliebt. Sie stellten sein Bild zwischen ihre Familienbilder, und einer, der gefragt wurde, warum er geweihten Buchsbaum hinter den Rahmen gesteckt habe, sagte: ‚Er ist der Heilige des Friedens!‘ Vielleicht der einzige: die andern waren ja sämtlich unter die Fahnen gerückt…“
________Der Mörder wurde ermittelt, aber (Jaurès als Verräter definierend) nie verurteilt, die Witwe musste sogar noch die Prozesskosten zahlen – und dennoch: „Alle Fenster stecken voll Leute, oben auf den Dächern stehn sie, auf den Bäumen, auf den Laternen. ‚A bas la guerre! A bas la guerre!‘ Der Schrei ist aus den winterlichen Straßen aufgestiegen – kein kleiner Landgerichtsrat in Berlin und kein Staatsanwalt in rotem Talar zu Leipzig kann ihn ersticken.“ Der kaum merkliche Übergang in die dt. Verhältnisse – bei Tucholsky fehlt er so gut wie nie. „Auf den Redaktionssesseln sitzen die (bezahlten) Schuldigen und wissen von nichts, haben es nicht so gemeint, taten nur ihre vaterländische Pflicht… Er war der erste. Das Gesindel, das nicht an den Millionen Verfaulter genug hatte, wütete nachher im Bürgerkrieg weiter: die uniformierten Edelmenschen warfen die 60jährige Rosa Luxemburg ins Wasser, fielen über den wehrlosen Karl Liebknecht zu sechsen[…] Erzberger verblutete auf der Chaussee[…] Rathenau fiel[…] Hugo Haase fiel[…] Und was eine führerlose Gruppe für ein Schicksal erleidet, ist ja an den deutschen Kommunisten zu sehen, an denen der deutsche Staat bodenloses, unsittliches, rohes Unrecht verübt. Über 7000 sitzen.“ Auch die französischen fordern neben „Krieg dem Kriege!“ lauthals „Amnestie!“ für immer noch Gefangene. Ihre Gruppen „sind lebhafter, viel mehr bei der Sache[…], aufgeregt und durchtost von Liedern und Gebraus.[…] Jetzt ist es dunkler geworden, noch haben sich die Straßen nicht beruhigt, immer noch ziehen, den ganzen Damm ausfüllend, die Züge[…] und alles singt. Die Internationale. Welche? Die zweite? Die dritte? Aber die deutschen Bürger stehen vor der nullten. Denn hier streiten sich die Leute[…] um den Unterschied zwischen französischer und russischer Literatur – und die deutsche herrschende Klasse kann noch nicht einmal lesen! Es ist ja nicht wahr, daß sie begriffen haben: immer noch sehen sie das einzige Heil in einem ‚Großdeutschland‘, oder wie dieser Unfug heißen mag“. 100 Jahre später mag er Deutschland muss seiner gewachsenen Verantwortungg in der Welt mehr entsprechen heißen, Kriegstüchtigkeit erlangen, Russland ruinieren, Zeitenwende, Doppelwumms. Mit hohlen und umso schrillerem Geplärr wird zum nächsten Weltkrieg gerüstet, der erste Genozid wird auch schon wieder trainiert und mitgeführt – nur nennt sich das heute „feministische Außenpoltik“. Nach innen wird autokratisch und rassistisch jede Kritik niedergeknüppelt von neoliberal-faschischten Blockwarten, die sich dabei oft sogar noch als Antifa oder Antiantisemiten aufspielen, wo sie doch nur dieselben alten Lumpen marktkonformer Staatsmacht aus Tucholskys Zeiten geblieben sind.
________Dagegen die Überführung von Jaurès: Die „ist mehr als eine Geste. Sie ist die Offenbarung des festen Willens einer Regierung und breiter französischer Schichten, im Frieden mit Europa zu leben“. Deutschland, wo 1924 der Hitler-Prozess wg. des -vordergründig gescheiterten- Münchner Putsches mit eh‘ schon milden Festungshafturteilen endet, die im selben Jahr noch in Freilassung auf Bewährung münden; wo die seit Januar als Putschverantwortliche verbotene NSDAP unbeeindruckt bis zur Neugründung im Februar 1925 als Großdeutsche Volksgemeinschaft weitermacht; wo mit „dem Wort Vaterland“ sich drapierend „das niedrigste Gefühl, das im Menschen schlummert: das Hordengefühl“ auf den Ausbruch lauert; dieses Land „steht heute vor den Wahlen und vor der Wahl[…] ob es ein Räuberstaat unter Räuberstaaten sein will, ob es zurückgehen will: in neues Elend – oder vorwärts: den steinigen, schweren Weg zur Völkervereinigung.“ Es hat, zum 2.Mal, den bequemen, falschen Weg gewählt: Statt Völkerverständigung wird chauvinistisch militarisiert und durchaus herrenrassistisch das nächste völkische Gemetzel vorbereitet. „Die Deutschen haben 2x den Weltkrieg angezettelt“, schreiben dazu KWFDW, „DAS werden DIE wieder tun – und sind grade fanatisch am Schüren (sagen aber, da wär‘ nix)“. Dabei hat’s der NS-General Haushofer 1941 (weit noch vor ‚Stalingrad‘ oder gar irgendeiner Landung der US-Army auf dem Kontinent) einem amerikanischen Journalisten doch offen in die Feder diktiert: „Junger Mann, wir denken in Jahrhunderten und Sie können sicher sein: Wenn wir diesen Krieg verlieren sollten, so werden wir schon in der ersten Stunde nach dem Waffenstillstand den 3.Weltkrieg vorbereiten.“
________Nur 2 Artikel weiter landet Tucho den nächsten zum Thema passenden Volltreffer – gleichfalls gültig bis heute und, wer weiß, ans bittere Ende der Welt, wie wir sie kennen. DER NEUE ZEITUNGSSTIL betitelt, erhellte die kurze Glosse vor 100 Jahren schon, was im Wesentlichen geblieben ist und was tatsächlich neu dazukam. Um 1900 (+/- 15) war die moderne Welt nämlich bereits voll entwickelt in all ihren heute so selbstverständlichen Elementen präsent: U-Bahnen und Autos, Telefonie und Reklame, Kino, Sport und Spiele, Unterhaltungsindustrie, Tourismus, Börsengeschäfte, Kolonialismus und Kolonialwarenläden, Geschwindigkeit und Flugzeuge, Aufüstung und Militärmacht, Klassenkampf und Ausbeutung, Zwangsarbeit, Sozialgetue, Psychokram, Plünderung der Menschen und ihres Planeten, globales Unrecht, Naturzerstörung, alle Ideologien zu allem, verrückte Kunst, protofaschistischer Futurismus, Drogen, Porno, Esoterik…^ Der solchermaßen komplett ausgebildete Kapitalismus trug damals schon „den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“, um das schöne Wort von Jaurès (nicht Mal Élévé) nochmal der Vergessenheit zu entreißen. Und das zugehörige Nachrichtenwesen hatte ebenso seine letztgültige Gestalt vorgezeichnet, da pappen Volksempfänger, TV, Computerisierung, Neue Medien, Privatisierung, embedded journalism oder social media gar auch bloß ein paar zusätzliche Pfünder eitles Fleisch ans originale Skelett. „Der Ursprung der Nachrichten hat sich kaum verändert. Von mäßig bezahlten Reportern mäßig aufgenommen, mit kleinen Mitteln rasch zusammengeklaubt, nicht einmal so tendenziös gefärbt wie unsorgfältig zusammengehauen, gehen die Telegramme ihren Weg. Früher druckte man sie ab. Heute macht man sie auf. Was, man macht sie auf! Man macht sie überhaupt erst zu Etwas, man schöpft und schafft aus dem Nichts, man erfindet Wahrheiten. Im Anfang war die Überschrift.“ Im Fortgang der Technik werden dazu Artikel- und Bildunterschriften zum „Gebiet eifrigsten Studiums. Kein Zeitungsmann zerbricht sich den Kopf so über die Gewinnung neuer wichtiger Nachrichten wie über die Textierung des alten herkömmlichen Materials. Es hat sich nichts geändert – aber es wird jetzt viel feiner verpackt. Die Weltgeschichte fix und fertig für den Gebrauch von Schwachsinnigen.“ Es gibt nationale Nuancen, die aber keinen Unterschied ums Ganze machen. Speziell im Deutschen z.B. „immer mit der Anmaßung der Gründlichkeit. Es ist die verbreitung der Ignoranz durch die Technik. Diese aufgeregte Stagnation ist ein getreues Abbild der Gesellschaftsordnung, die sie hervorbringt. Eine lärmende Langeweile und ein tiefes Unrecht dazu: eine Verschleierung der Wahrheit und die Ablenkung vom Wesentlichen.“
________Sogar sowas wie Tucholskys aufdringlich pompös geschwätzigen Herrn Wendriner haben wir 100 Jahre später immer noch und in fetten Massen überall an den Backen, wo frau mi’m Auto hinkommt. Zu Grasse z.B. fällt solchen kolossalen Armleuchtern grad mal dieses ein: „‚Grasse?‘ sagte er und stocherte sich in den Zähnen. ‚Warten Sie mal – Grasse…? Ja, da warn wir mal, von Cannes aus. Na, ich danke![…] Wissen Se: Grasse ist nischt-!'“ Sogar zu uns hoch auf’s Posto tra Monti e Mare hat’s so einer schonmal geschafft, obwohl frau da ja noch 10 Minuten den Waldweg raufstapfen muss und es auch vom Parkplatz unten erstmal 5 Minuten am kleinen Sträßchen langgeht. Dieser Wendriner kam in Gestalt eines gymnasialen Philosophielehrers, der sein popeliges Lehramt mit einer Professur verwechselt und doch nur flache You-Tube-Filmchen zitiert. Dass Tucholsky bei uns prominenter vertreten ist als sein mitgebrachter (und von diesem Schnösel völlig unverdient zuschanden gerittener) Thoreau, hat ihn so gekränkt, dass er sich einen typischen Reich-Ranicki zurechtklickte: „Die Gedichte von Tucholsky sind ja ohne Belang“, sprach der wohl mal irgendwo im TV – und hat so doch bloß seine eigenen erzkonservativen Kunstmaßstäbe aus der bourgeoisen Spießerei des FAZ-Feuilletons und dessen Stock-im-Arsch-Ästhetizisten an etwas gelegt, das mit solcher ‚rechtsoffenen‘ reaktionären Kultur gerade gar nichts zu tun haben wollte.
________Tucholsky, zurückgekehrt von den Fronten (nicht der „Etappe“) des Weltkriegs im glühenden Zorn gegen „die gereckte Pathetik dieser Kriegsmetaphysiker“° und all das gefahrlos schlachtgeile Gesindel auf den sicheren wohlbezahlten Posten in der Guten Gesellschaft auch noch des ersten Nachkriegsdeutschlands von den ganzen Dr.Unrats bis in die niedersten Ränge mordender Freikorps, zurück als militanter Pazifist und unkaputtbarer Rechtsanwalt für die bessere Sache, schrieb nicht einen Text gleich welcher Gattung für dieses herrendienerische l’art pour l’art-Gewese – er war von alledem das Gegenteil. Wie Jaurès ein Leuchtturm kämpferischer Zuversicht, wo im heutigen D-land bloß noch ein abgedroschener Haufen bärbockigen Hoffnungsspecks mit leeren Worten und falschen Bildern vor sich hinstinkt. Ganz gleich in welcher Gattung es Tucholsky schrieb, sowas kapiert ein Reich-Ranicki nicht, ob Satire od. Couplet, ob Glosse od. Bericht, selbst jede Buchbesprechung – immer ein Gedicht. Gerade die so unerreicht eigenwillig alleinständigen Literaturkritiken übertreffen jene des TV-Literaturkritikpapstes um kosmische Längen und Tucholsky wird auch nach weiteren 100 Jahren noch weltweit gelesen, sofern es dann noch Lesende gibt. Reich-Ranicki hat mit 88 seinen letzten literarischen Großauftritt gehabt (und tatsächlich war es erstmal cool, wie er 2008 den doofen Dt.Fernsehpreis live ablehnte), seine Texte jedoch kennt schon heute kaum wer mehr, noch nichtmal der Herr Wendriner.
________Und darauf noch ein schönes Gedicht, das Tucholsky auch als wertvolle historische Quelle zu seiner Zeit und ihren Kämpfen erweist, im Verbund mit den besprochenen Texten zudem die doch zügige Annäherung des eigentlich radikal bürgerrechtlich Beginnenden an sozialistische und mehr noch kommunistische Bewegungen aufzeigt. Es stammt vom Januar 1919, ist ein Nachruf auf die ermordeten Luxemburg und Liebknecht und passt wie Faust aufs Auge zu einer deutschen Gegenwart, in der die Berliner Gedenkdemo für diese beiden nun schon wieder mit Prügeln, Tritten und Pfefferspray attackiert wird, Leute bewusstlos geschlagen und weggeschleppt werden von der hochgerüsteten Staatsmacht des Ampel-Regimes, zuverlässiger Part im neoliberal-faschistischen Block an der Macht. Es erschien in der von Tucholsky schon damals stark geprägten Weltbühne, bleibt für Kulturspießer der Marke R-R auf ewig ohne Belang und endet mit den Zeilen: „Wie man sich selber die Treue hält, | wie man gegen eine feindliche Welt | mit reinem Schilde streiten kann, | das vergisst den beiden kein ehrlicher Mann! | Wir sind, weiß Gott, keine Spartakiden. | Ehre zwei Kämpfern! Sie ruhen in Frieden!“
______________________________________________________________________ANMERKUNGEN
* Jean Jaurès, er „ist ein schlichter Mann gewesen,“ hebt Tucholskys Laudatio an… – Geboren wurde Jaurès 1859 im okzitanischen Castres in eher kleinen Textilhändlerverhältnissen, schaffte es allerdings an die Pariser Premiumhochschule École normale supérieure, wo er zu den Landesmeistern seines Jahrgangs zählte (z.B. 1881 Drittbester in Philosophie). 1883 wurde er als Philosophie-Dozent an die Uni Toulouse berufen, 1885 ereilte ihn bereits der Ruf der Politik und er wurde jüngster Abgeordneter der Nationalversammlung. Während er nebenbei immer noch lehrte bzw. 1892 auch promovierte, politisierten ihn Kämpfe und Erfahrungen der 90er schnell sozialistisch: 1891 z.B. erlebte Jaurès in seiner Zeit als Toulouser Gemeinderat die halb Frankreich entsetzende Fusillade von Fourmies, wo das Militär in eine friedliche 1.Mai-Demo feuerte und 10 Menschen tötete (80 wurden verletzt). Mit Verve und Wortgewalt engagierte er sich 1892 für in Carmaux streikende Minenarbeiter, gegen die bereits 1500 Soldaten im Anmarsch waren – der Druck des Streiks und der öffentlichen Wirkung von Jaurès ließ die Regierung schließlich zugunsten der Streikenden entscheiden. Der Minenbesitzer und NV-Abgeordnete legte deswegen sein politisches Amt nieder und bei der Ersatzwahl gewann Jaurès den vakanten Sitz, Ende 1893 bei den turnusmäßigen Wahlen zog er bereits mit einer halben Hundertschaft Sozialisten in die NV ein. Journalistische Arbeiten, mitreißende Reden, anspruchsvolle Konferenzenveranstaltungen, Lehrtätigkeiten auch an kleinen Gymnasien, internationale Sozialistenkongresse, seit 1901 vermehrt historische Studien (von denen die interessantesten, nämlich „Histoire socialiste de la Révolution française“ und „La guerre franco-allemande“ leider nicht auf deutsch vorliegen), maßgeblich mitwirkend bei den Gründungen der Partei (PSF), des sozialistischen Zusammenschlussess (SFIO) oder der bis heute existierenden Parteizeitung L’Humanité – ein prallevolles Werk zum Guten lebte der Jaurès – …“und diese pompöse Ehrung galt zwar ihm,“ geht Tuchos Satz weiter, „aber sie gilt seiner Idee, seinen Idealen und seiner politischen Welt.“
^ Schlag‘ nach für’s Erste bei: Paul Nolte, „1900, Das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts in sozialgeschichtlicher Perspektive“ IN: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47 (1996) 5-6, S.281-300;
° Zitat aus DAS FELDERLEBINS, Tucho 1922 in: Gesammelte Werke, Bd.3, S.263; Die anderen Zitate entstammen den jeweils genannten Artikeln, die sich ebd. auf den S.513-528 verteilt befinden ==> Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke in 10 Bänden, Bd.3 1921-1924, Reinbek 1975;


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