NON UNA DI MENO: Italiens Frauentag in Fuchsienrot
Zuerst in Argentinien und dann von Spanien aus hat sich -zunächst im romanischeren Teil Europas- eine junge, frische und v.a. kämpferische Frauenbewegung verbreitet, deren Feminismus sich weder gemein macht mit staatlicher Vereinnahmung z.B. durch eine ‚feministische‘ Außenpolitik, die bis zum Genozid in Palästina global noch jede frauenfeindliche Schandtat mitträgt, noch damit zufrieden gibt, wenn ein paar systemkompatible Elitefrauen mehr Karriere bis an die Staatsspitze machen; sondern deren internationaler Kampftag am 8.3. tatsächlich einer ums ganz Andere ist, an dem fundamental zu Widerstand, Boykott und Streik gerufen wird. Mindestens bis BASEL ist diese temperamentvolle, lautstarke, kompromisslose und gegenüber all den staatsterroristischen Robocops während ihrer Demos frech mutige Bewegung schon gekommen. In Italien heißen sie „Non una di meno“ und machen im November zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen zentral in Rom Rabatz; am 8.3. dezentral in 65 Städten des Stiefels – manche davon ’nur‘ mit Kundgebungen wie in IMPERIA, viele mit ihren spektakulären Umzügen beglückend, wo dann nichts mehr Verdientes vor fuchsienroter Farbattacke sicher ist und Hände wie in Blut getaucht auch sinnlich klarmachen: Non una di meno – keine Einzige mehr darf einem Feminizid zum Opfer fallen! Durch den Femizid an Giulia Cechettin im Nov.2023 hat die Bewegung in Italien erheblich Fahrt aufgenommen – ein Student aus gutem Hause hatte damals seine ebenfalls in PADOVA studierende Ex mit über 70 Messerstichen getötet und landesweit wütende Protestzüge durch Upper-Class-Viertel unter Parolen wie „E stato il vostro bravo ragazzo“ ausgelöst. Inzwischen wurde er zu ‚lebenslänglich‘ verurteilt (kann bei guter Führung also mit 42 wieder draußen sein). Dieses Jahr auf der Demo in ROMA war -davon nur wenig verändert- die Nummer „104“ plakatiert – die Gesmtzahl der Femizide 2024 (i.Vgl.zu 118 aus 2023).
__________In TORINO bestürmte ein halbes Hundert wild entschlossener Feministinnen der Non una di meno die Zentrale des Rüstungsriesen ‚Leonardo‘, der als „Komplize des Völkermords in Palästina“ samt seinen polizeilichen Schutzkräften mit lila Farbballons bombardiert wurde. Auf mitgeführten Schildern mit rotverschmierten Porträts von Polit-Prominenz wie Meloni, Schlein oder von der Leyen wurde klargemacht: „Sie vertreten uns nicht“ und auf Transparenten eindringlich gewarnt: „Achtung, das Patriarchat macht dich zum Soldaten“. In MILANO protestierten 10000 (amtlich angegeben) durch eine der 7 testweise schonmal eingeführten ‚Roten Zonen‘ Italiens, womit die Meloni-Ampel als kriminell stigmatisierte ‚Problemviertel‘ für ihre rassistische Faschisierungspolitik weiblich auszuschlachten versucht. „Es ist nicht in unserem Namen, dass ihr die Grenzen schließt, dass ihr Ghettos baut, dass ihr Mauern hochzieht, dass ihr uns spaltet“, kontern die Feministinnen, „Unser transfeministischer Kampf ist ein antirassistischer Kampf, deshalb wird dies heute zu einer fuchsienfarbenen Zone“. Mit Glitzerbeschmierung gegen McDonald-Fenster wurde zum „Boykott von Marken, die den Völkermord in Palästina finanzieren“ aufgerufen. Eine starke Combo hob kollektiv die Röcke als Zeichen ihrer körperlichen Selbstbestimmung, was für Schnappatmungen und Spannungen auf Seiten der Rechts- und Ordnungskräfte sorgte: „Wenn Gewalt gegen unseren Körper dazu genutzt wird, Rassismus und Kontrolle zu verbreiten, rote Zonen und faschistische Sicherheit zu rechtfertigen, streiken wir“. Am frühen Abend gibt’s dann regelmäßig Bengalos, Rauch und Licht in Fuchsienfarbe – Gründe genug, den zugehörigen Kampfaufruf von Non una di meno an dieser Stelle mal übersetzt zu dokumentieren; i.eig.Übers. natürlich, denn bei den Automaten würde schon der Titel bloß behämmert klingen: „Lotto, Boykott, Streik!“. In den Fußnoten folgen paar Links zu -teils auch schön bebilderten- Berichten.
__________Transfeministischer Streik gegen patriarchale Gewalt, Krieg und Armut: Am 8.März 2025 rufen wir zu einem transfeministischen Streik der Produktiv-, Reproduktions-, Care- und Konsumarbeitenden auf. Lasst uns Geschlechterrollen und -erwartungen aufbrechen und die Reproduktion eines zunehmend gewalttätigen und autoritären Gesellschaftssystems boykottieren.
Die Befürworter der patriarchalischen Kultur sprechen von Sicherheit als Ordnung, Kontrolle, Unterdrückung und Bestrafung. Wir antworten, dass Sicherheit bedeutet, von der Grundschule an Aufklärung über Sexualität, Gefühle und Einwilligung als Unterrichtsfach zu vermitteln.
Sicherheit sind soziale Dienste für alle, feministische Anti-Gewalt-Zentren mit angemessener und struktureller Finanzierung, das Recht auf Gesundheit und Selbstbestimmung, freie, sichere und kostenlose Abtreibung, Unterstützung geschlechtsbejahender Wege!
Sicherheit bedeutet, echte Wege zur Autonomie und heraus aus gewalttätigen Beziehungen zu finanzieren, die Termine von Straf- und Zivilprozessen abzustimmen, PAS vor Gericht abzulehnen [gemeint ist die Anwendung des „Parental Alienation Syndrom“-Konstrukts zur Sorgerechtsentziehung gegen flüchtende Mütter] und sekundäre Viktimisierung zu beenden.
Sicherheit heißt Mindestlohn, angemessene Gehälter und auskömmliche Verträge, ein Selbstbestimmung ermöglichends Einkommen.
Sicherheit ist: Wohnbaukonzept, kontrollierte Mieten, lebenswerte Quartiere mit Grünflächen und Geselligkeit, gegen Einsamkeit und Ausgrenzung.
Unsere Sicherheit besteht in der Anerkennung der Staatsbürgerschaft für die zweite Generation, in der Aufhebung von Einwanderungsgesetzen, die auf die Schaffung illegaler Einwanderer abzielen, in der Aufhebung italienisch-libyscher Abkommen sowie in der Öffnung der Grenzen und der Schließung von Kontrollstellen in Italien und Albanien.
__________Sicherheit ist Entmilitarisierung.
Wir streiken gegen den Krieg, weil seine Eskalation exponentiell verläuft. Für Millionen Menschen ist dies schreckliche Realität: Vom Völkermord im Gazastreifen und im Westjordanland breitet sich der Krieg im gesamten Nahen Osten aus. Er spaltet Europa an der russisch-ukrainischen Grenze und breitet sich im Kongo und im Sudan aus. Wir wollen weder Opfer noch Komplizinnen sein. Wir wollen uns von den Geschehnissen in der Welt weder betäuben noch überwältigen oder manipulieren lassen; denn der Krieg reguliert das Wirtschaftssystem, um Profite und Macht zu garantieren, indem er die Mehrheit der ausgebeuteten und gespaltenen Bevölkerung den Preis in Form von Menschenleben und Verarmung zahlen lässt. Weil Krieg autoritäre Regierungen, nationalistische Politik und Fundamentalismus unterstützt und von ihnen unterstützt wird, ist es unerlässlich, zu reagieren, Widerstand zu leisten und anderer Meinung zu sein.
Wir streiken gegen die Regierung Meloni und die Achse der ultrareaktionären Regierungen. In der Zurschaustellung von Hass, Macht und Rachsucht kennen diese Rechten keine Grenzen. Ihre Freiheit ist das Privileg eines Prozents der Bevölkerung.
Doch die Rechte sind unteilbar. Werden sie einigen wenigen auf Kosten anderer, gesellschaftlicher Gruppen oder Minderheiten gewährt, nennen wir sie Privilegien. Wir akzeptieren den transphoben Feminismus nicht, der auf den Regierungszug aufgesprungen ist: Die Unterstützung von Abtreibungsgegnern in Beratungszentren und Krankenhäusern, die Streichung finanzieller Mittel für Programme zur Geschlechtsangleichung und die Verweigerung von Rechten für Minderjährige aus Familien mit homosexuellen Eltern sind mit dem Horizont der Freiheit und der Selbstbestimmung über Körper und Leben unvereinbar. Die feministische Flut ist trans, lesbisch, queer, migrantisch, rassialisiert, antirassistisch und antiabilistisch.
__________Gegen den aktuell diskutierten „Sicherheits“-Gesetzentwurf, der die Regeln der Segregation verschärft, Armut bestraft und Andersdenkende kriminalisiert, sowie gegen die „roten Zonen“! Nach dem Caivano-Dekret als Reaktion auf die sexuelle Gewalt gegen zwei Mädchen wurde dieses Modell in 7 italienische Vororte exportiert, um die belebten Viertel zu stigmatisieren und „die Ordnung wiederherzustellen“, wodurch das selbstorganisierte soziale Gefüge verödete, wie im Fall von Quarticciolo in Rom. Die Rückführung des libyschen Folterers Almasri und die Tötung des jungen Ramy Elgaml während einer Verfolgungsjagd zeigen jedoch deutlich, wie viel dieser Regierung Menschenleben wert sind, welches wahre Interesse sie an Sicherheit, an „der Jugend und den Vorstädten“ haben.
Es ist bekannt, dass Frauenmorde, Transsexuellenmorde, Lesbenmorde und Gewalt vor allem in intimen Beziehungen und im familiären Kontext vorkommen: Indem die Regierung weiterhin Rassismus und Geschlechterhass schürt und die Städte militarisiert, spielt sie mit dem Feuer – auf Kosten der Lebenssicherheit aller.
Wir rufen Arbeitende, Studierende, Arbeitslose, Zeitarbeitende, Aktivist/innen, Gewerkschafter/innen und Anti-Gewalt-Zentren auf, sich aktiv am Aufbau des Streiks zu beteiligen.
Lasst uns die Streikpraktiken vervielfachen und sie auf die Stadt und den Konsum, auf Schulen und Universitäten, auf den Dienstleistungssektor, auf Wohnungen und Arbeitsplätze ausdehnen.
Wir besetzen den öffentlichen Raum und tragen den Streik über die anerkannten und immer enger werdenden Grenzen hinaus.
Boykottieren wir die Finanzierungsketten des Krieges und des Völkermords in Palästina, indem wir uns den BDS-Kampagnen anschließen, und vertiefen wir die Praxis des Konsumstreiks.
__________Der Aufruf zum feministischen Streik für den 8.März dieses Jahres, einen Samstag, stellt uns vor eine zusätzliche Herausforderung: Wir wissen, dass die Ausrufung eines Generalstreiks an einem Samstag nicht üblich ist. Aber für uns ist es von grundlegender Bedeutung im Prozess der Resignifikation und Wiederaneignung der Streikpraxis für all jene Menschen, die immer davon ausgeschlossen waren. Mit dem transfeministischen Streik wollen wir all jene systemrelevanten, ausgebeuteten, prekären Arbeiten sichtbar machen und anerkennen, die nicht als solche anerkannt werden; und gemeinsam Kampfpraktiken finden, die die Verweigerung solcher Arbeit ermöglichen – jeder Form von Arbeit, angefangen bei der als selbstverständlich erachteten Care-Arbeit im familiären Kontext.
Der zeitgenössische Faschismus breitet sich aus und schlägt Wurzeln unter jenen, die die Selbstbestimmung von Frauen, Schwulen, Lesben, Queers, Transsexuellen, Migrant/innen, der zweiten Generation und Sexarbeitenden nicht akzeptieren. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass die Kraft unseres Kampfes auf soliden Grundlagen beruht, ein sorgfältiges und seit Jahrhunderten erarbeitetes Gewebe, und dass die patriarchalische, faschistische, koloniale, kapitalistische und rassistische Welt weder auf ökologischer noch auf sozialer Ebene länger tragbar ist.
Und wir sind zusammen und wir sind wütend, wir erobern weiterhin den Raum zurück, um uns eine bessere Zukunft vorzustellen. Ich kämpfe – ich boykottiere – ich streike AM 8.MÄRZ!
______________________________________________________________________ANMERKUNGEN:
Der Non Una Di Meno-Aufruf im italienischen Original ||| Eine schöne Bilderstrecke in der kurzen & bündigen Vorab-Reportage von Giuditta Pellegrini ||| Eine Event-Map mit den Non Una Di Meno-Veranstaltungsorten vom 8.3.25 ==> https://www.google.com/maps/d/u/1/viewer?mid=1eZ0uu1vYiFxAI9mGlSnyq1hUTrjwS6k&ll=44.5553344127303%2C11.182213156249965&z=7 ||| Onlinebericht aus ROMA ==> https://www.open.online/2025/03/08/non-una-di-meno-corteo-roma-8-marzo-2025/ ||| Onlinebericht aus TORINO ==> https://www.quotidianopiemontese.it/2025/03/08/il-corteo-di-non-una-di-meno-contro-la-guerra-e-il-patriarcato-oggi-pomeriggio-a-torino/ ||| Onlinebericht aus MILANO ==> https://www.milanotoday.it/cronaca/manifestazione-non-una-meno-8-marzo-2025.html ||| Die Demos zum Weltfrauentag in der Schweiz wurden durch Non Una Di Meno generell stark repolitisiert in Richtung feministischer Streiktag, aber nicht allein oder direkt von ihnen veranstaltet, außerdem wird üblicherweise der argentinisch-spanische Name Ni Una Menos verwendet ==> https://www.nau.ch/news/schweiz/feministische-demo-legt-zurcher-innenstadt-lahm-66930374 | Es geht dort zudem erheblich zur Sache und gerade bei der grundsätzlich ‚unbewilligten‘ in BASEL (aber auch Zürich) regelmäßig mit Schlagstockeinsätzen und Verhaftungen einher ==> https://www.srf.ch/news/schweiz/weltfrauentag-tausende-personen-nehmen-an-demos-in-schweizer-staedten-teil || Am Brutalsten hingegen wurden in Berlin, selbsternannte Hauptstadt ‚feministischer‘ Außen- und neuerdings auch ‚antifaschistischer‘ Innenpolitik, wo mit 20000 doppelt soviel wie in Milano demonstrierten, Teilnehmerinnen internationalistischer Züge, die sich mit den Frauen in Palästina wie auch im Sudan solidarisierten, gegen Abend von Staatsknüppelgarden angegriffen (ohne dass ihnen von der bessergestellten nationalen Mehrheit der Demonstrierenden geholfen worden wäre).
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