Grünmalz-Experiment: Bierbrau-Revolution in Westligurien
Warum eigentlich nicht gleich aus Grünmalz das Bier Brauen? So lautete über 15 Jahre ‚Birrificio‘ eine zuverlässig wiederkehrend bohrende Frage im alljährlichen Bierbrau-Workshop auf dem ‚Posto tra Monti e Mare‘ – und Ende September haben sie es tatsächlich gebraut: Das Bier aus Grünmalz, also der zunächst wie beim Mälzen eingeweichten und gekeimten Gerste, die dann aber statt per aufwendiger Darrung auf diesem Klimax konserviert zu werden (nur um sie später wieder in diesem enzymatisch maximalen Zustand zu reanimieren) eben gleich eingemaischt wird. Eminente 70% des Energiekonsums beim Mälzen gehen aufs Konto des Darrens und aufgrund von Gründen mag diese Verschwendung für eine industrielle Bierherstellung auch nachvollziehbar sein. Für die „artigianale“ muss sich aber brennend die Frage stellen „Warum eigentlich nicht direkt mit Grünmalz brauen?“ – oder es ist keine Braukunst, sondern tote Mess- und Massenautomatik, eine ähnlich leblose bloße Rezeptenachkocherei oder irgendwas Zombiegruseliges zwischendrin mit Apps, Spindel, Bierbastel-Kit und Ypsalabim.
________Bei uns heißt Brauen –und da gilt die Leitlinie des Workshops[0] gleichermaßen für das Grünmalz-Experiment– nach althergebrachter Art und mit den Bordmitteln eines einfachen Bauernhaushalts einen guten Sud Naturbier herzustellen. So technizistischen Schnickschnack wie Jodprobe, Bierspindel oder Würzesiebbeutel brauchen wir nicht, das olle Einkoch-Thermometer verwenden wir statt der Temperaturmessung per Finger oder Backe aber ganz selbstverständlich. Mit dem Grünmalz-Experiment gehen wir sogar noch erheblich über das Mittelalter hinaus zurück in die urigsten Zeiten menschlicher Kulturgeschichte, als das Mälzen noch ebenso unbekannt war wie die desinfizierende Hopfengabe oder gar eine Zuchthefe i.e.S. – daher nennen wir unser Grünmalzbier (MALTOVERDE) auch „Mesolitico Plus“. Und in diesem letzten Halbsatz ist schon alles enthalten oder wenigstens angedeutet.
________1. Es handelt sich um ein waschechtes dt.-ital. Gemeinschaftsprojekt (wenn auch mit klarer Meister- und Lehrlingsverteilung) von 2 radikal rustikalen Bier-Verrückten mit einer Handvoll Helfender drumrum. Hopfen und Gerste kommen aus meist eigenen Quellen direkt aus der Gegend, das als kardinale Zutat oft vergessene Brauwasser sowieso. Der sprachliche Austausch (migrantisches mit nativem Italienisch, fließendes mit mittelprächtigem Englisch) im Fachlichen, aber auch der Generationenunterschied als solcher (Babyboomer mit Millennial) bringen spezifische Anforderungen mit sich – der bilinguale Ansatz wächst sich zu einem geradezu bikulturellen Projekt aus. Und nicht selten haben wir dabei quasimesolithisch kommuniziert.
________2. Der ursprüngliche Ansporn zum Grünmalz-Experiment wurde noch gesteigert durch die Tatsache, dass es bislang niemandem zuvor gelungen ist, ein schmackhaftes Bier aus 100% Grünmalz zu brauen. Versuche in Belgien, mit Grünmalz wenigstens einen Teil des Malzes zu ersetzen und dieses also in den klassisch industriellen Prozess eher kleinerer Brauereien zu integrieren, sollen gute Ergebnisse erzielt haben.[1] Für uns waren diese Erfahrungen von der innovatonstechnologischen Seite her deshalb wertvoll, weil die grundsätzliche Problemstellung mit den Tücken der Grünmalzverarbeitung genau die gleiche wie beim manuellen Brauen ist (mangelnde Haltbarkeit, schwierige Schrotbarkeit, das hohe Risiko unerwünschter Fehlaromen wie nach gekochtem Mais oder schwarzen Oliven z.B.). Die bündige Geschmacksbeschreibung „Dosenbohnenwasser mit Weißbier auf 3% alc.“ stammt sinngemäß von einer weiteren wichtigen Inspirationsquelle, nämlich der in D-land wohl bekannteren experimental-archäologischen Haspelmoor-Linie, die dortige „mittelsteinzeitliche“ Getreidepollenfunde zum Anlass nahm, mit mesolithisch verfügbaren Mitteln nachzuweisen, dass aus dort wachsendem (also nicht erhandeltem) Getreide bereits vor 8000 Jahren Bierbrauen definitiv möglich und anhand weiterer Indizien auch eher wahrscheinlich war.[2] Für uns war der menschheitsgeschichtliche Horizont und v.a. die mesolithische Praxis insbesondere beim Keimen der Gerste wie auch beim Maischen hoch anregend. Das PLUS hinter „Mesolitico“ beginnt bereits mit letzterem durch Thermometereinsatz, später folgen Hopfengabe, Zuchthefe, Gärfass und verschließbare Flaschen als abweichende Vorteilsnahmen in heutiger Praxis.
________3. Eine dritte wichtige Erfahrungsschatztruhe bildeten einige kundige Versuche von sog. Hobbybrauern und ggf. deren Fachdiskussionen in einschlägigen Foren, aus denen sich eine –allerdings sehr verstreute– Vielfalt von fehlervermeidenden, arbeitserleichternden oder auch Hintergründe und Zusammenhänge erhellenden Details herausdestillieren lässt. Sämtliche Grünmalzresultate von dieser Seite endeten allerdings im Unbekannten und jdf. so, dass nirgends mehr ein Erfolg berichtet wurde.[3]
________Unser MALTOVERDE hingegen ist ein bereits irreversibel gelingendes Grünmalz-Experiment. Im Brauprotokll „Grünmalz 2025/9 Birra Mesolitica Plus“[4] von Ende September wurde folgende Zielstellung klar formuliert: „Ein trinkbares Bier (besser als ‚Weizenbier mit Dosenbohnenwasser‘ auf 3% alc verdünnt) mit Vergärung und Haltbarkeit herstellen und die dem Darrprozess geschuldeten 70% Energiefraßanteil zu 100%
einsparen!“ Jetzt nachdem es sich in Flaschen zur Nachgärung befindet (beim Abschlauchen auch probiert wurde), lässt sich aufgrund passenden Geschmacks und Geruchs sowie aktiver Vergärung und Kohlensäure schonmal eine exquisite Release Party in Planung nehmen mit und für Leute, die gerne und ohne Gemaule auch mal ihre 3,50 für 0,2-Liter dieses Ausnahmegetränks spenden, das in der qualifizierten Szene garantiert Furore machen wird. In Italien ist eine entsprechende Wertschätzung artigianaler Naturprodukte weiter verbreitet und tiefer verankert als etwa im Massenbölkstoffparadies jenseits der Alpen. V.a. in Norditalien gibt es auch eine rege Klein- und Selbstbrauszene. Das Datum unserer „Vernissage“ mit kurzer Produkt- und Projektvorstellung wird wohl im Bereich 11.-13. oder 20.-23.November liegen. Weitere Details, Bilder und Fortsetzungen finden sich auf unserer Homepage.
_____________________________________________________________________Anmerkungen:
[0] Und wer schon gelernt hat, sein oder ihr tägliches Brot mit Vollkorn und Sauerteig selbst zu backen (statt Automaten zu bedienen), wird von dorten auch leicht alles Wissenswerte zum fortgesetzten Selberbrauen im eigenen Zuhause kapieren und mitnehmen können. Mehr zum Bierbrau-Workshop, der alljährlich um den Frühjahrsbeginn stattfindet, weil es für die Nachgärung im Felskeller hintenraus ohne elektrische Kühlung sonst doch schon zu warm würde für ein radikal rustikales Naturbier, gibt es über LIGURI.INFO auf den Unterseiten „Oikos“ oder auch „Naturalien“ jeweils nach ganz unten scrollend.
[1] Für einen ersten Eindruck in dieser Richtung 2 Fachartikel: ==> https://gradplato.com/kategorien/know-how/einsatz-von-gruenmalz-der-enzym-kick ==> https://gradplato.com/kategorien/know-how/brauen-mit-gruenmalz-neues-schrotverfahren
[2] Ebenso wissenschaftlich und doch ein ganz anderer Ansatz: ==> https://www.historischer-verein-ffb.de/verein/verein-unterpunkt/projektgruppe-steinzeitbier/
[3] Ein anschauliches Beispiel für die hopfenaromatische Flüchtigkeit solcher Beiträge ist ein atemberaubend kurzes „Grünmalz Experiment“, großartig gepostet am 19.3.23 um 4:37 und nach einem halben Tag schon wieder bis heute von der Bildfläche verschwunden ==> https://hobbybrennen.ch/viewtopic.php?t=1102
[4] Grammatisches und Translatorisches: a)Jetzt auch noch Mesolitica, ja was denn nun?! Das Birra ist im Italienischen nunmal Mesolitica und so heißt die Biersorte hier eben auch „BIRRA MESOLITICA plus“. Bis zum Zitat der offiziellen Brauprotokollbezeichnung wurde im Text der holperfreieren Lesbarkeit wegen noch ‚Mesolitico‘ verwendet. Als deutsches Wort gesetzt, muss es freilich mit „th“ geschrieben werden. b)Eine wörtliche Übersetzung für ‚Grünmalz‘ gibt es hier angeblich nicht (Grünkern wäre ‚farro verde‘, Grünkohl jedoch ‚cavolo nero‘ –obwohl der hier ganz anders aussieht– oder ‚cavolo riccio‘). Analog zu ‚legno verde‘, also noch grünem Brennholz i.S.v. ’nicht ausreichend gelagert/getrocknet‘ haben wir den Überbegriff Grünmalz eben ein für alle Mal mit dem Neologismus MALTOVERDE benannt, anstatt mit Umschreibungen wie ‚orzo germinato ma non finalmente maltato‘ herumeiernd Zeit zu vergeuden.
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