Slow Food auf World Expo in Milano: Wer füttert wen?

19.3.2022 silliguri Newsletter & Technix

Aus dem Newsletter Nr.20 (Aug.2015), der anlässlich der EXPO in Milano über Slow Food, den tapferen Carlo Petrini und italienisches Ernährungsbewusstsein -unverändert aktuell- dies zu berichten hatte:

>> VERYBELLO EATALY: Den Planeten ernähren, Energie für das Leben
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„Die Italiener“ haben ja, wie die Deutschen im Westen Liguriens besonders (aber auch jene in den Resten der Welt allgemein) sicher wissen, von so ziemlich Allem vergleichsweise kein Bewusstsein: Vom Jagdwesen, z.B., von Umweltschutz, Hundehaltung, Olivenölproduktion und – gesunder Ernährung etwa. Die Massendaten zur Nahrungszusammensetzung wie auch zur Gesundheitslage ergeben da im trockenen statistischen Mittel zwar regelmäßig ein abweichendes Bild – aber wo weder Vollkornbrot noch Frischkornbrei landestypische Esswaren sind, kann es mit dem Bewusstsein einfach nicht weit her sein. Dazu ist Italien die Wiege von SlowFood: in den 1980ern explizit gegen den ersten FastFood-Fresstempel in Rom entstanden, um stattdessen für faire, saubere und gute Lebensmittel einzutreten; und einsame Weltspitze als Opfer von Raubkopien und Fälschungen: Über 500 Fälle hat das Landwirtschaftsministerium in den letzten 15 Monaten registriert, vom in England abgefüllten „toskanischen Olivenöl“ über einen „Wine-Kit“ zur Herstellung von Barolo und Amarone aus den USA bis hin zu 5000 Tonnen „Parmesan“ monatlich, die ein türkischer Geschäftsmann im Internet offerierte, was ja schon die Hälfte der regionalen Produktion wäre. Sauerkraut und Spätzle hingegen fälscht niemand (schmeckt natürlich trotzdem).
Und nun: Nutrire il pianeta, feeding the world! Das Motto der neuerdings alle 5 Jahre -diesmal in Milano- stattfindenden Weltausstellung (um die sich sonst nur noch Izmir gerissen hatte) revoziert bei ernährungsbewusstem Gehör zunächst einmal den Titel des bahnbrechenden österreichischen Dok-Films „We feed the world“, der vor 10 Jahren recht breitenwirksam erste Antworten lieferte auf die unerhörte Frage, was „wir“ denn mit dem Hunger in der Welt zu tun hätten. Die Expo selbst ist jedoch eine Art „Das Imperium schlägt zurück“-Panzerfaust mitten ins Gesicht aller in dieser Richtung inzwischen Sensibilisierten, bildet sie doch -als Diskussionsforum für irgendwas mit Nachhaltigkeit deklariert- in erster Linie die Bühne für ein selbstlöbliches Stelldichein der schlimmsten Nahrungsgängster und ihrer gefolgsamen Gourmet-Lakaien. CocaCola brüstet sich z.B. mit der geplanten Einführung biologisch abbaubarer Plastikflaschen (während sie in Indien Minderjährige und Verarmte ausbeuten und ganzen Dörfern das Grundwasser entziehen oder in Lateinamerika renitente Gewerkschaftsleute von Paramilitärs erschießen lassen), die ENEL prahlt mit „Green Energy“ (und hat in Spanien und der Slowakei AKWs laufen), sogar Waffenexporteure paradieren auf der Expo – und zu Nestlé oder Monsanto braucht man eh‘ kein Wort mehr verlieren. Das alles unter der gütigen Schirmherrschaft von McDonalds und schön verschönert von klein- und kleinerformatigen Qualitätsproduzent/innen wie den 4 DOP-Konsortien, die
unter dem Banner der Niedriglohn-Feinschmeckerkette „Eataly“ dankbar ihren originalen Prosecco, Grana Padano, Mortadella bzw. San-Daniele-Schinken anpreisen; oder so individuellen Standbetreibern wie jenem „Wurst-und-Käse-Verkäufer, der nicht einfach Bresaola und piemontesische Tomini anbietet, sondern drängend darauf hinweist, welch großes Geschäft sich durch den Erwerb hier und heute seiner ganz besonderen ‚Spezialitäten‘ doch machen ließe.“ Marco d’Eramo spricht hier vom „abgestandenen Charme des Kolonialwarenhändlers“ und sieht die Weltausstellung zu einer servilen „Spezialitätenmesse“ reduziert, auf der „jeder Italiener seine ganz persönliche, kleinliche Kalkulation macht, was bei dieser Expo für ihn herausspringen könnte.“[1] Dass dem mangelnden Genius mit umso pompöserer Rhetorik abgeholfen wird, ist kein Widerspruch, sondern notwendige Ergänzung, um einen kollektiven Enthusiasmus aufzubauschen, mit dem mal wieder ein letzter Strohhalm zum Highway aus der Krise aufgepimpt werden kann. Der Staatschef selbst, Meister aller Klassen der politischen Aufbläserei, gibt das beste Beispiel mit seinem streberhaften Triumphalismus, der noch 7000 unbezahlte Hilfskräfte auf der Expo als Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verkauft. Oh my goodness, what a show!
„Alle sind sie hergekommen, um zu verkaufen. Viele Pavillons, wenig Inhalte“, konstatierte Carlo Petrini schon zu Beginn des Events im SlowFood-Pavillon und unbotmäßig gegen den Patron McDonalds gehend fragte er, wie denn unter den Fittichen eines Großkonzerns, der „Fleisch in Schachteln für 1,20 €“ verkloppt, Wertigkeit und Preise von nach höheren Standards (etwa SlowFoods „gut-sauber-fair“) erzeugten Lebensmitteln erklärt werden sollen. Gar nicht, findet McDonalds und setzt gegen Premiumernst und Biodiversität die fröhliche Angebotsvielfalt und freie Wahl der Massen, die sich so gerne von ihnen abfüttern lassen, „vielleicht nach Passieren des immensen, traurigen und wenig bekannten SlowFood-Pavillons“. Wenigstens spritzt SlowFood-Italy die kritischen bis aufrührerischen Kontrapunkte in diese substanzlose Dauerwerbesendung mit dem anmaßenden Motto, was ja die Rechtfertigung für die zweischneidige Entscheidung von SlowFood-International gewesen ist, an der Expo teilzunehmen. Auf deren englischsprachiger Website werden die Problempunkte zuvor auch klar benannt (z.B. der eminente Verbrauch auch agrarischer und ggf. flugs enteigneter Flächen für die Expo-Bauten, die fehlende Nachnutzung ab dem Herbst, die gespenstische Dominanz der „agro-industry, which sees food as a commodity, with no concern for its cultural and spiritual value“).[2]
SlowFood-Germany hingegen hält sich von deutlicher Kritik oder gar systemrelevanter Konfrontation fern und zelebriert lieber „die hervorragende Arbeit beim Bau des nachhaltigen Slow-Food-Bereichs“, die eine famose Pavillon-Designerfirma Herzog & de Meuron geleistet hat.[3] Deshalb kann der deutschsprachige Journalismus auch SlowFoods Unterstützung für den gruseligen Kommerz-Zirkus von Mailand feiern[4], während die italienischen Kolleg/innen deren fundamentale Ablehnungshaltung („la bocciatura“) gegenüber einem agrarkapitalistischen System zu vermelden haben, das den komplexen Prozess menschlicher Lebensmittelproduktion auf nackte Warenförmigkeit reduziert. „Können die industrielle Landwirtschaft und jene des kleinräumigen Zuschnitts zusammen existieren? Ich würde sagen: Nein.“ Mit solchem Klartext steht Petrini den 30000 No-Expo-Demonstrant/innen vom 1.Mai wahrscheinlich näher als den Schnarchnasen von SlowFood-Germany und „die Italiener“ beweisen offenkundig ein fortschrittlicheres, tiefgründigeres und weiterführendes Ernährungsbewusstsein. Es kommt halt nicht so sehr darauf an, wo und wie genau das prinzipielle Nein verlautbart wird, sondern DASS dies geschieht. Muss das denn hier immer so politisch sein? Nö, der ultimative Kommentar zur Eatworld-Expo 2015 wurde eh‘ schon vor Jahrzehnten gegrölt und verfilmt, hat heute Diabetes, stinkt und lautet: „Eat the rich!“
[0]Nicht eigens belegte Zitate sind Schnellübersetzungen aus der ital. Tagespresse
[1]http://www.taz.de/!5007588/ => Marco d’Eramo, „Expo alla milanese“, 16.5.15, TAZ
[2]http://www.slowfood.com/expo2015/en/feeding-the-planet/slow-food-at-expo/
[3]http://www.slowfood.de/aktuelles/2015/mailand_expo_2015/
[4]http://www.welt.de/sonderthemen/made-in-italy/article133552526/Slow-Food-unterstuetzt-die-Expo-in-Mailand-2015.html => G.Desrues, „SlowFood unterstützt die Expo“
[5]http://slowfood.com/expo2015/wp-content/uploads/2015/03/DEU_appello.pdf <<

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