I GRU, I GRU AL CIELO BLU! – Der Februar bringt hier das Licht, die Tage werden schlagartig länger, die Luxe donnern wieder heller auf die Netzhäute und die zurückkehrenden Kraniche erfüllen die westligurischen Lüfte im Vorbeiflug mit ihrem allerschönsten Gesang, soweit dessen Klang nach Frühling und Freiheit wenigstens zum Teil ein bisschen auch auf uns hienieden heruntertröpfelt. Nicht einmal die lautesten Lieder des Sanremo-Festivals kommen dagegen an, selbst mit dem Support ihres mächtig prächtigen Lichtstrahlerwerks zur 75.Ausgabe am Nachthimmel nicht. Und auch die leuchtend gelben Rumba-Rhythmen des schon brasilianisch umwerfenden Umzugs zum Zitronenfest in Mentone oder die knallenden Kanonen beim historischen Kostümfest zu S.Benedetto in Taggia erreichen die olympischen Höhen der Kranichchöre nicht im Entferntesten. Freilich sind Sanremo, Taggia und Mentone gerade im Februar, wenn ansonsten noch angenehm wenig Trubel an den Küsten herrscht, ihre Reisen wert. Insbesondere verdient das Liederfestival in diesem immer noch lebensfroh pulsierenden Weltstädtchen mit dem abgehängten Charme würdig verblichener Noblesse endlich mal einen tieferen Blick.
__________Sanremo-Festival, zum 75.Mal bereits, DAS ist Geschichte – und was für eine! Da kannste die protzig-piefige deutsche Schlagerhitparade genauso wie den glämpompös aufgepümpten Eurovision Song Contest doch ohne Umweg gleich in die Tonne kloppen. Sanremo dagegen hat Stil und wahrt Haltung – das Festival hat zunächst dem im nachkriegsdemokratischen Siechtum adellos verödenden Casino noch über ein Vierteljahrhundert Überleben einhauchen können (es wurde 1951 ja gerade zu diesem Zweck aus der Taufe gehoben); es ist bis heute -seit 1977 ins Ariston-Theater/Kino umgezogen- ein mit oskarreifem Tamtam begangenes Massenspektakel der populären Musik von landesweiter Kardinalbedeutung geblieben, das längst schon alle erdenklichen Poparten einschließt; und es hält an seinen Alleinstellungsmerkmalen Qualität, Transparenz, Vielfältigkeit und richtigem Sinn für Politik fest (Berlusconi bspw. hat dort nie einen Fuß in die Tür gekriegt, bis er knurrend wie der erfolglose Fuchs das mit den Trauben machte). Der kalte Kaffee vom „Zirkus der Nation“, in dem sich ganz Italien sein Spiegelbild betrachtet, hat dabei seine Richtigkeit – corretto mit dem Schuss Grappa, dass es sich um ein Fest ihrer linkeren, liberaleren, besseren Hälfte handelt, das gleichwohl die anderen Realitäten reflektierend keinesfalls ausblendet. Die politischen Einblendungen -offizielle und mehr noch inoffizielle- sind meist kurz und stets wirkungsstark, denn 70% aller Fernsehenden des Landes verfolgen den 5-tägigen Liederstreit der 30 sehr diversen Goldkehlchen, die ihr spezielles bis dato unveröffentlichtes Werk zum Vortrag bringen. Das Festival ist eine Institution in seinem Metier wie Slow Food im Bereich fairen, sauberen und guten Essens. Da sind Abgüsse wie der ESC so uninteressant und fad wie im Essentlichen FoodWatch International – und tatsächlich nehmen italienische Sänger/innen der leichten Musik sowie ihr Publikum den ESC tendenziell als zweitrangig bis Zumutung wahr; längst nicht jede/r Preisgekrönte macht vom nebenbei mitgewonnenen ESC-Vertretungsrecht für Italien Gebrauch (so auch der 2025 siegreiche Rapper Olly). Dem ESC gebricht es am Charme des Kleinaberfeinen, das seine Künste freilich mächtig schön herausputzt – dort herrscht der aufgedonnerte Bombast einer vom EU-Apparat dirigierten Nationalitätenshow, der nurmehr politkonforme Künstlichkeit übriglässt wie sie bestens in ein pistoriöses Kriegstüchtigwerdungsprogramm passt; statt ‚Bella Figura‘ und Zivilgesellschaft stecken Staatsmacht und Militärparade das Feld der Ehre ab. Und in Wacken spielt die Bundeswehr gleich selber die Musik.
__________Beim Sanremo-Festival müssen sich die Wettstreitenden an 5 Abenden auf der -vielen Profitgeiern schon wieder viel zu kleinen- Bühne im 2000sitzigen Ariston hautnah in unterschiedlichen Formaten beweisen, da haben schon paar Buhrufe ein anderes Gewicht. Außer den täglich gut 12 Mio am TV verfolgen vor Ort auf dem aus allen Nähten platzenden Piazza Colombo und anderswo in Sanremo noch etliche Tausende im stimmungsstarken Public Viewing die Show outdoor – im Februar nach Sonnenuntergang auch an der milden Küste nicht immer nur Karibik. Und am Ende küren zu je einem Drittel Journalist/innen, Radiosender und Publikum ihren Siegessang, diesmal war es kurz nach 2:00 am wie üblich sehr spät gewordenen Finalabend. Lange Umbaupausen (im Fernsehen dann Nachrichten und v.a. Werbeblocks), Gastauftritte, Extra-Aktionen, Interviews, Unterhaltungsrunden, Kritiker-Talks und politische Statements nicht zuletzt zu das Land aktuell bewegenden Themen machen aus allen 5 Wettbewerbstagen ein Programm bis tief in die Nacht. Eine Kontinuität des Festivals bestand seit mindestens den 70ern in seiner klar linkeren und antifaschistischen Positionierung gegen „Centrodestra“[1], auch wenn die Rechten natürlich stets Zugang zu finden und wenigstens Neutralisierung zu erreichen versuchten – und insofern immer mitmischten. Auch hierin haben wir es mit einem Spiegel Italiens zu tun, in dessen linksrum weichgezeichnetes Schönbild sich im Hintergrund eben doch die Insignien des Hässlichen vorwärtsdrängelten – wie etwa auf den Kriegshilfemobilisierungsvideos des schlechten Komikers von Kiew im Hintergrund Vertreter von Neonazibataillonen mit klar faschistischen Symbolen posierten. „Es gehört mittlerweile zum guten Ton, Botschaften gegen Rassismus, gegen Krieg, gegen Sexismus vorzutragen“, beschwert sich die Rechte und beklagt -gerade auch in der deutschen Berichterstattung-, die veranstaltende RAI sei bspw. 2023 „wegen anschwellender Proteste“ eingeknickt vor der Ausstrahlung einer solchen plump blaugelb als ‚Friedensbotschaft‘ umlackierten Kriegsverlängerungspropaganda. Eingeknickt war sie – allerdings obrigkeitlicher Drücke wegen, indem sie durch den Moderator stattdessen wenigstens noch einen entsprechenden Brief Selenskijs verlesen ließ, worin der verkündete, dass „Kunst und Krieg siegreich“ seien, die „Musik gewinnt“ und auch die Ukraine diesen Krieg „dank der Kraft von Freiheit und Kultur“[2]. Der echte Komiker, Schauspieler, Regisseur und Oscar-Gewinner Benigni fand dagegen vielfach mehr Gehör mit seiner 20minütigen Laudatio auf Art.21 der Verfassung (Recht auf freie Meinungsäußerung), die den politischen Kammerton auch gegen die mit Melonis Wahlsieg Ende Sept.2022 erstarkende Refaschisierung im Land vorgab: „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich diesen Artikel liebe. Vor dieser Verfassung, in den 20 Jahren des Faschismus, konnte man nicht frei denken. Nicht einmal das Sanremo-Festival wäre machbar gewesen. Artikel 21 hat Italien von der Pflicht befreit, Angst zu haben.“[3]
__________Das Sanremo-Festival blieb auch 2024 und 2025 umrungenes Terrain. Und doch ist die betrübliche Tendenz nicht zu übersehen, dass es der clever-smarten Meloni besser als dem so ritterlich tuenden korrupten Lustgreis Berlusconi vor ihr gelingt, auch dort die politisch-institutionellen Möglichkeiten des neoliberal-faschistischen Blocks an der Macht sukzessive in kulturelle Hegemonie umzusetzen (Berlusconi hingegen hatte sich wenig um den widerspenstigen Staatssender gekümmert, da er ja ein eigenes Privatsenderimperium medial nutzen konnte). Die veranstaltende RAI hat die sog. Postfaschistin nun durch strategische Posten-Neubesetzungen mit Gefolgsleuten systematisch mittlerweile von eher ‚Centrosinistra‘ in deutlich ‚TeleMeloni‘ umwandeln können. Dort wird das Programm (samt ebenso der politischen Einsprengsel) vorgegeben und entschieden, dazwischen hat der jeweilige Moderator erheblichen Gestaltungsspielraum für seine Show. So konnte der langjährige Amadeus, der das Sanremo-Festival gerade als Fest der Meinungsfreiheit, Toleranz und Humanität starkmachte, 2024 bspw. den protestierenden Bauern im Traktoren-Anmarsch auf Sanremo durchaus seriös signalisieren, dass sie auf die Bühne dürften – knickte dann allerdings abermals ein und beließ es beim Verlesen einer Denkschrift zu ihren Forderungen. Dem Anliegen von LaRussa (Senatspräsident, Mitgründer der faschistischen Regierungspartei und stolzer Besitzer einer Mussolini-Bühne daheim: „Ich werde sie nie wegwerfen“), folgte er allerdings brav, indem er an die „Foibe“ von 1943 und 1945 erinnerte, ein 2004 im Rahmen faschistischer Konter-Gedenkpolitik (diese war -vor allem anderen Quark- Berlusconis tatsächlich gewichtigstes Polit-Vermächtnis) gesetzlich eingeführter Trauertag zur Aufrechnung einiger 1000 bei Vormärschen jugoslawischer Partisan/innen aus Istrien vertriebener oder exekutierter und dann in Karsthöhlen gestürzter „Italiener“ (in Wahrheit zumeist Faschisten, Kollaborateure, Okkupanten und Sympathisanten) mit den tatsächlich mind. 230000 kroatischen, slowenischen und montenigrinischen Zivilopfern der faschistischen Besatzungszeit in Jugoslawien als „Holocaust der Italiener“. Die Nationalhymne am Finaltag wurde von einer Militärkapelle geblasen, es gab die berühmten ’standing ovations‘, Amadeus dankte zackig mit militärischem Gruß und die Mutter eines in Napoli von einem 16jährigen erschossenen Jugendlichen beendet ihre Rede mit einem tränenreichen „Ich danke dieser wunderbaren Nation“. Da sieht sogar der ZEIT-Reporter „Melonis Diktion“, die statt des in solchem Kontext üblichen „paese“ stets „nazione“ verwendet: „Es ist eine kleine, aber bedeutende Verschiebung, die hier vor einem Millionenpublikum vollzogen wird“[4]. Nach 10 Jahren gewinnt mit Mango mal wieder eine Frau. Und das einzige wirklich linke und antifaschistische Statement von Belang schmuggelt ein dazu Unbefugter ein: Es kommt vom Rapper Ghali, der mit Puppe Rich Ciolino auftritt, die ihm am Ende seines Lieds 3 Worte ins Ohr flüstert, die das Publikum natürlich hören will – „Stoppt Gaza-Genozid“ lauten sie.[5]
__________2025 war auch der nach oben so knicksgeneigte woke Amadeus nicht mehr Moderator, sondern es führte der explizit unpolitischere und ewige Sonnenmilchbub Conti -nun auch schon zum 4.Mal- durch die auf reibungslosen Ablauf getrimmte 5-Tage-Show. Programm, Politik und Drumherum wurden allgemein als etwas öder und braver empfunden. Immerhin durfte der Papst eine echte Friedensbotschaft verkünden und am Finaltag setzte der langweilige Schnellsprecher Conti doch noch ein überraschendes Zeichen, indem er die Nationalhymne strich und stattdessen mit „Tutta l’Italia“ den Titelsong des Sanremo-Festivals spielen ließ. Conti ist auch insofern Moderationsmeister, als er die Jonglage mit dem Reglement perfekt beherrscht und somit proaktiv sich abzeichnende Unerwünschtheiten geradezu geräuschlos schon im Ansatz zu entsorgen versteht. Der kontroverse Chansonnier Cristicchi, der mit einem von der Krankheit seiner Mutter inspirierten Leidenslied zunächst wohl den Sonderpreis der Kritik im Visier hatte, war nach dem ersten Abend plötzlich auch für den Gesamtsieg im Rennen – und wegen der konservativen Moral seines Songs frohlockte die rechte Hälfte Italiens schon. Im finalen Televote fand er aufgrund dieser problematisierbaren Vereinnahmung dann doch nicht genügend Zustimmung für den Gesamtsieg (5.Rang). Andrerseits lässt sich aktiv Erwünschtes nicht so leicht herbeiführen wie Unerwünschtes abzuwenden ist: Die für alle so genehme wie charmante Kompromisskandidatin, die mit einem gefälligen Lied überaus routiniert und stimmgewaltig aufgetretene Giorgia, Festival-Siegerin von 1995, erreichte das finale Finale der letzten Fünf sehr knapp eben nicht (6.Rang) und konnte dort auch vom Televote nicht mehr profitieren. Das war dann schon der größte Publikumsaufreger heuer. Fetzig Politik gab es nur in satirischen Dosen oder abseits des Zentralgeschehens. Benigni warnte bei seinem kurzen Gastauftritt -ziemlich weitsichtig und wohl zutreffend- vor Trumps Einverleibungsinteresse an Ligurien: „Er verfolgt das Sanremo-Festival von Mar-a-Lago aus mit Elon Musk und der roten Mütze mit der Aufschrift ‚Make Sanremo Great Again’… Er sagte, nach Grönland möchte ich noch Ligurien… und wenn wir es ihm nicht geben, werden sie 200 % Zoll auf ‚Trofie al Pesto‘ erheben“[6]. Und der Kandidatin Elodie (12.Rang) gebührt das letzte Wort. Als sie auf einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob sie eventuell mal für Meloni stimmen würde, antwortete sie: „Nichtmal, wenn sie mir die Hand abhacken.“[7]
Et moi-a-a, je suis-i-i – Coroniiiie.
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7]Anmerkungen: Die Fußnoten werden exklusiv mit nächstem Newsletter nachgereicht. Dieser erscheint vierteljährlich und ist gratis bestellbar über die Homepage liguri.info und dort auf KONTAKT links in der Navigation zwecks Mail mit Betreff "Her mit dem Newsletter!"
26.2.2025 • 1 Kommentar
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