„Ach Remo, SanRemo, nichtmal so groß wie etwa äh Aschaffenburg (das selbsternannte und auch noch ‚bayrische Nizza‘ am Main), etwas verblasst und verblichen der Strahleglanz früherer Jahrzehnte vielleicht, aber immer noch Champions‘ League – ein Ort von Welt, mit angenehmen Leuten“, so taktete vor 7 Jahren der Newsletter-Artikel „SANREMO: Fußwege, Radfahrten und krumme Touren durch Geschichte und Gegenwart“ in Nr.30 auf, der an dieser Stelle bloß geringfügig aktualisiert fast unverändert publiziert wird und folgendermaßen weitergeht: „Wem an diesem wirklich hübschen Küstenstreifen beidseits der Grenze, wo die Seealpen so spektakulär schön ins Ligurische Meer stürzen, Nizza, Cannes und Montecarlo zu geleckt & gelackt sind, hat mit dem leicht abgehängten Charme der immer noch lebensfroh pulsierenden „Classicissima“ an Liguriens Blumenriviera die bessere Wahl getroffen. Dass die Noblesse der reichen Säcke schon seit Ende des 2.Weltkriegs mehr und mehr ausblieb, hat wohl den mondänen Etablissements geschadet, die freundlich-menschliche Atmosphäre jedoch erhalten geholfen. Das legendäre Casino gibt’s natürlich immer noch, mit Kleiderordnung (passende Garderobe kann aber gegen Pfand geliehen werden) und mittlerweile staatlich betrieben unter dem Slogan „Seit 1905, für Touristen und zum Spaß“; desgleichen sind doch einige 4-5-Sterne-Häuser mehr übriggeblieben, allen voran das Hotel Londra, erbaut 1860 und 1920 Austragungsort bis heute gültiger Weltpolitik, als die weißen Herren der Welt ihre post-osmanischen Aufteilungspläne für Nah- und Mittelost aushandelten und 1922 so auch vom Völkerbund ratifizieren ließen[1]; insgesamt hat sich der Fremdenverkehr seit der von russischen, deutschen sowie v.a. britischen Adligen und nicht zuletzt neureich aufgestiegenen Kolonialoffizieren geprägten Belle Epoque vom elitären Charakter deutlich weg verlagert[2] und hin zu einer ‚demokratischen Massenbasis‘ verbreitert. Kein Event drückt das sinnfälliger aus als das alljährliche Schlagerfestival, das ähnlich der Rallye SanRemo seinen internationalen Rang inzwischen zwar auch schon eingebüßt hat, aber in 25 Jahren des Siechtums dem verödenden Casino noch ein Überleben einhauchte und bis heute -seit 1977 ins Ariston umgezogen- ab Ende Februar mit oskarreifem Tamtam begangen, sogar politisch umkämpft wird. Erst seit wenigen Jahren nehmen italienische Sänger/innen der leichten Musik überhaupt am bis dato zweitrangig notierten Eurovison-Song-Contest teil.
___________Feste werden gefeiert in SanRemo und Events veranstaltet in einer Dichte, dass es fast unmöglich ist, mal ein Wochenende ohne zu erwischen. Ein erster Höhepunkt schon Ende Januar: Der „Corso fiorito“, das Blumenfest mit Großumzug und Tralala, denn Hauptblumensaison ist gerade ab Dezember bis an den April, wenn der größte Teil Europas im Kälteschlaf liegt. Leicht nachzuvollziehen, warum in dieser klimabeglückten Ecke schon vor 50000 Jahren erste Menschen ihre Strandhöhlen bezogen und später auch die [Matuzia, vor-]römische Göttin der Morgenröte dort Wohnsitz nahm. Es gedeihen sogar afrikanische Papyrusstauden (prominent in den ehemals adligen, jetzt staatlichen „Hanbury Gardens“ kurz vor der Grenze) und Dattelpalmen (der nördlichste Palmenwald der Welt in Bordighera, verewigt in Monets berühmtem Gemälde). Das Label „Riviera di Fiori“ ist allerdings noch keine 100 Jahre alt, erst in den 1920ern begann überhaupt die Blumenzucht im großen Stil, gestützt auf engagierte Botaniker, spezialisierte Forschungsinstitute und freilich die natürlichen Voraussetzungen einer himmlisch begünstigten Frühlingslandschaft, die auch ohne Treibhäuser von Ventimiglia bis Imperia einen riesigen Garten Eden aufblühen lässt. Der nächste Höhepunkt: Der Radrennklassiker Mailand-SanRemo, stets am dem 19.März nächstgelegenen Sonntag, 300 Kilometer seit 111 [jetzt 118] Jahren und daher „La Classicissima“ genannt, rangiert gleich nach dem Giro d’Italia und bildet das ‚erste echte Radrennen‘ (la prima vera corsa, wie der zweite Beiname „La Primavera“ gern umgemodelt wird) der Profisaison. Vom auch in Italien kühlen lombardischen Norden durch den Piemont und am Meer entlang in den ligurischen Frühling – und dafür noch Geld kriegen! Die ham’s gut…
___________Nachfahren lohnt sich. Und wer’s eine Nummer kleiner will, findet einen ganzen Stall voll Möglichkeiten, z.B. auf den Schlusskilometern der Classicissima einzusteigen: ab San Lorenzo 3km westlich von Imperia wird diese Küstenfahrt sowas von geradezu kinderleicht, weil es auf der extra dafür umgebauten ehemaligen Bahntrasse weitergeht, sogar bis Bordighera. Dem Giro ist übrigens die Restauration der zauberhaften Bergstrecke von Andagna über den P.Teglia (weiter nach Rezzo) zu verdanken, immer noch gut genug planiert […und dass da im Februar noch Schnee liegen könnte, ist nach 7 ungebremsten Klimaschadensjahren eher unwahrscheinlich, vielleicht] liegt er um diese Zeit aber noch am P.Collardente unterhalb des M.Saccarello, über den unser MTB-Königsweg vom frz. LaBrigue aus über Triora durch’s Brigaskerland zum Posto Tra Monti e Mare führt[3]. Der Frühlingsweg hingegen steigt von SanRemo aus über Poggio, Ceriana und den P.Ghimbegna (von dem aus ein Abstecher nach Baiardo fast Pflicht ist, falls eine/n der ebenso obligatorische Spaziergang in Ceriana noch nicht voll ausgelastet hat, beides umwerfende Ortschaften) östlich abzweigend und bald runter nach Vignai, alles problemlos auf wenig befahrenen Normalsträßchen. Erradeln lassen sich auch entlegenere Sehenswürdigkeiten in SanRemo selbst, z.B. das abgedrehte Zuckerbäcker-„Castello Dechavan“, das sich eben so ein britischer Kolonialoffizier zum luxuriösen Lohn seiner bösen Taten ans obere Ende des „Corso Inglesi“ hingepflanzt hat, sinnigerweise dann von den Nazis als Wehrmachtkommandatur genutzt[4], heute eine zivile Wohnanlage. Öffentlich zugänglich sind etwa „Villa Nobel“(die eines berühmten Schweden, der hier seinen Lebensabend beschlossen hat) oder „Villa Ormond“(von einer reichen Schweizer Business-Familie eher als Stadtpark mit Villa drin angelegt), einige weitere Gärten wie „Regina Elena“ am oberen Ende der ‚Pigna‘ genannten Altstadt, die zu Fuß zu queren ein Muss ist (sie hat tatsächlich was von maghrebinischer Kasbah, so dass sich ein cooler sommerlicher Musik-Event sehr zu Recht den Namen ‚Rock in the Casbah‘ gegeben hat) wie auch der meeresnähere „Corso Mombello“ besser per pedes zu absolvieren ist. Am Besten geht das sowieso alles mit einer gut geführten Stadtwanderung SanRemo, wie sie hiermit eröffnet und angeboten wird.[5]
___________Und was gibt’s sonst noch in SanRemo? Die beste Farinata der Gegend in einem Baiserl, das Station der genannten Stadtwanderung ist; die Whale-Watching-Boote, die ab Juni auch wieder in See stechen, kein ganz billiges Vergnügen; und sogar die Korruption, die zuzugebenermaßen ja nicht nur im EU-führenden D-land vorkommt, sondern manchmal auch in Italien: die ist hier gar nicht so hässlich unsauber, dass sie geradezu fanatisch schnellschnell von allen Bildflächen gekehrt werden muss – sondern zeigt sich auch von einer putzigen Seite und im schönsten öffentlichen Dienst. Zum fotopublizierten Symbol auf allen Kanälen wurde jener Poliziotto, der vor 2 [jetzt 9] Jahren mit der razziösen Hopsnahme eines Großteils der Stadtverwaltung ins Netz ging, weil er im selben Gebäudekomplex wohnend regelmäßig grad mit Unterhose, T-Shirt und Wampe bekleidet, zur Stechuhr rüber und wieder heim stapfte, was eine von den ermittelnden Spezialeinheiten angebrachte Kamera aufgezeichnet hatte. Dutzende anderer Stadtbediensteter vertrieben sich derweil die Arbeitszeit mit Kanukursen, Shopping, Glücksspiel, Zweitjobs oder im eigenen Garten. Es wäre halt nie was zu tun gewesen, hieß es ziemlich unisono von den erstmal medienwirksam abverhafteten „Furbetti“ – ach Remo, Sanremo, immer noch grande casino. Die Feudalen hatten sich bei der Reichwerdung[6] durch armer Leute Arbeit halt doch eleganter angestellt als die Bürgerlichen. Beim Verzocken wohl ebenso.
__________________________________________________________________ANMERKUNGEN:
[1] Und zwar, um der historischen Faktenlage die Ehre zu geben, unter Missachtung arabischer Freiheitsbestrebungen bei konsensfähig eigennütziger Förderung zionistischer Staatsgründungsinteressen.
[2] Dieser von der Eroberung durch den Nobeltourismus europäischer Haute Volée massentouristisch und überaus erfinderisch weitergeführte Umprägungsprozess einsamer und karger Fischhüttenküsten ins heute italienweit gültige Sommer-Sonne-Badespaß-Hochglanzbild ist historisch betrachtet eine recht junge Erscheinung, insgesamt kaum 150 Jahre alt und Kind einer gleichermaßen kolonialmächtigen wie fremdenverkehrsträchtigen Penetrationsaffäre. Solche und andere Kontexte lassen sich neuerdings auf unserem altermondialen BildungsPosto TMM auch geschichtswissenschaftlich im Rahmen der ORIENT-Seminare gründlich vertiefen.
[3] Diese Radtour wird in den nächsten Wochen noch ausführlicher und mit Skizze zum Selbstfahren gepostet auf „liguri.info“, Klick auf ‚outdoor‘!
[4] Dazu gibt es im Erinnerungsbuch des ligurischen Partisanen Osvaldo Contestabile („Bitterer Frühling“) eine schöne erhellende Geschichte, die bei unseren Partisanen-Trekkings falls passend gerne mal zum Vortrag kommt.
[5] Der OUTDOOR-Beitrag (für alle Wanderungen und Trekkings außer „Settimana Rusticale“ und „Women Only“-Tours) beträgt stets 120 € ddT pro Tag netto für den Guida und kompensiert damit v.a. so grade die Abwesenheit von der Campagna. Der OIKOS-Beitrag für Workshops auf dem Posto selbst liegt daher niedriger: 70 € ddt netto am Tag für die Kursleitung als Kompensation. Die ORIENT-Seminare haben wiederum eine eigene Beitragsberechnung, siehe „liguri.info“, Klick auf ‚orient‘!
[6] Da gab es den modernen Kampfbegriff der „Korruption“ auch lange noch nicht. Historisch ist der eine nationalbürgerliche Prägung als Vorwurf gegen verdorbene ‚ancien régimes‘, der sich recht genau datieren und verorten lässt. Die heute oft als Synonym für Korruption genommene Bestechlichkeit bildet dabei nur einen unter vielen Aspekten der Verdorbenheit. Bestens einführend dazu nach wie vor: Kathleen Wilson, Empire of Virtue, in: Lawrence Stone, An Imperial State at War, London 1994, S.128-164;“
[x] Ebenso auf „liguri.info“ kann der vierteljährliche Newsletter kostenlos bestellt werden, per Klick auf KONTAKT links in der Navigation und dann per Mail mit „Her mit dem Newsletter“ im Betreff!
7.3.2025 • 1 Kommentar
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